Der schillernden Figur Joseph Beuys (1921 bis 1986) wurde schon zu Lebzeiten vieles nachgesagt: Scharlatan, Schamane, Erlöser oder größter deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts, um nur einige Etiketten zu nennen. Nun, im Jahr des 100. Geburtstags, kommt eine neue Variante auf, zumindest als Frage: Wäre Beuys, lebte er heute, ein Aluhut-Träger?
Der Verdacht, der legendäre Künstler vom Niederrhein habe eine Affinität zu Verschwörungstheorien und Populismus, rührt offenbar aus dessen jahrelangem Engagement gegen etablierte Politik und für Basisdemokratie, aus seinem gedacht massentauglichen Kunstbegriff, der grundsätzlich jedem Menschen Kreativität und Gestaltungsfreiheit zugesteht. Dazu kommen sein starker Bezug zur Anthroposophie Rudolf Steiners und sein Mitwirken an seinerzeit neuen politischen Bewegungen. „Jeder Mensch ein Künstler“, diese meist missverstandene Beuyssche Formel, nun auch fehlinterpretiert als Variante von „Wir sind das Volk“?
Will man Beuys auf die Spur kommen, ist der beste Weg der Blick auf das Material, um das es geht, und die Assoziations-Möglichkeiten, die der Künstler damit anbot (dazu in diesem Blog: Intuition als Methode bei Joseph Beuys). Bekanntlich trug er bei seinen Auftritten fast immer einen Filzhut. Das war ein bewusst gewähltes Detail zur Ausstattung seines Künstler-Habitus. Historisch ein bürgerliches Kleidungsstück, ein Signal der Emanzipation, und in seinen Materialeigenschaften schützend und wärmend. Filz war ein wichtiges und häufiges Element von Beuys‘ Installationen und ein Hauptmotiv seiner bekannten biografischen Legende aus dem Zweiten Weltkrieg.
Das Weiche, Formbare und Lebensspendende als Material-Attribute findet sich im Honig wieder, den Beuys in seinen Arbeiten vielfach verwendete. Der goldgelbe Saft galt ihm als auch geistige Nahrung. Und wenn er sich tatsächlich einmal Metallfolie ums Haupt legte, war es Blattgold, nicht Aluminium. Das warmtonige Gold, Symbol von Reichtum und nun, gemäß seiner Einsicht „Kunst ist Kapital“, Zeichen des kreativen Vermögens, fügte sich widerspruchsfrei in den Beuysschen Materialkasten.
Am Gegenpol zu diesem stand das kristalline Material, das kalte Metall und die, im übertragenen Sinne auch mentale, Verhärtung. Hierin gehört der Alu-Hut, den Beuys niemals getragen hätte. Ihm ging es nicht um egoistische Abschottung von der Realität, sondern immer um Erkenntnis – intuitiv-künstlerisch wie rational – und um Veränderung durch einen schöpferischen Prozess mit dem Ziel einer solidarischen Gesellschaft. Gegen Rassismus und Vergangenheitsverherrlichung hat er sich im Übrigen mehrfach explizit ausgesprochen.
Beuys wäre nicht Beuys, würde der Gegensatz von kalt und kristallin sowie warm und formbar, übersetzt: Ratio (aber da wären die Alu-Hüte schon weg) und Kreativität einfach bestehen bleiben. Er wollte die Pole verbinden, ihre Dialektik sichtbar machen. Das versinnbildlichte am Augenfälligsten der Honig, der sowohl durch die Adern der Honigpumpe fließen als auch kristallisieren konnte. Nur in einer harmonischen Verbindung mit Intuition, Inspiration und Imagination galt Beuys die Ratio als lebenstauglich. Oder anders: Wer einen kühlen Kopf bewahren will, braucht einen warmen Hut.