
Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge, dieser vielseitige und emsige Altmeister – einen 93-Jährigen darf ich so nennen -, hat 2024 vier neue Bücher veröffentlicht, darunter das mit dem Titel „Der Konjunktiv der Bilder“. Kluge hat den Bildgenerator Stable Diffusion für sich entdeckt und lässt den Algorithmus die möglichen Bilder nach seinen schriftlichen Anweisungen errechnen.
Eine Menge Beispiele enthält das kleine Buch, zu weiteren führen abgedruckte QR-Codes. Kluge findet hier einen neuen – vor allem eben visuellen Zugang – zu seinen Lebensthemen und -figuren, von der Odyssee über die großen Kriege bis hin zu seinem Ziehvater Theodor Adorno und natürlich Walter Benjamin. Neu ist daran die erstaunlich nahe an Science-Fiction und Computerspiel-Animationen herangerückte Bildästhetik. Reiterhorden, Seeschlachten und Weltraumfantasien machen neben Porträt-Verfremdungen den Großteil der Szenen aus, die Kluge der Fundgrube des Konjunktivs entlockt. Was der Rechner verbildlicht, löst sich oft in luftige Schlieren auf oder tendiert zum opaken bunten Pudding.
Der Meister hat es offenbar so vorgegeben. Denn Stable Diffusion kann auch gestochen scharfe und klar geometrische Formen liefern. Das kann jeder im Internet barrierefrei ausprobieren. Kluge bezeichnet sein neues Instrument als Künstliche Intelligenz. Er übernimmt also die Metapher der Tech-Industrie und er nimmt sie wörtlich, was bei einem so kritischen Kopf nicht unbedingt zu erwarten war. Ich möchte indes dabei bleiben: Auch der schnellste Rechner und Mustererkenner kann keine Intelligenz verkörpern, schlicht weil er keinen Körper hat. Intelligent sind die Programmierer.
„Diese Technik ist ein Instrument“, schreibt Kluge, „das gegenüber dem fixierten Gegenwartsbild einen weiten Freiheitsraum eröffnet.“ Mittels Sprache, die ja per se mehrdeutig ist, setzt er den Algorithmus in Bewegung und freut sich über die „überraschenden, blitzartigen Konnotationen zwischen Bild und Text und vor allem: zwischen Bildern.“ Das erinnert sehr an die literarischen und künstlerischen Strategien der Surrealisten, an Lautreamonts berühmte Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch. Aus dem „Konjunktiv der Bilder“ hat Max Ernst per Collage die tollsten Szenen gezaubert: die Serien „La femme 100 têtes“ und „Une semaine de bonté“. Im ästhetischen Vergleich haben es Kluges Rechner-Produkte schwer.
Im Grunde nichts Neues also? Der Bildgenerator stellt zweifellos eine fortgeschrittene Technik zur Verfügung, die Max Ernst vielleicht auch gerne benutzt hätte. Es kommt darauf an, sie zu beherrschen. Wer mit der Hand zeichnen, aus dem Körperbewusstsein die Formen entwickeln will, hat nichts davon. Sprachbefehle schalten sich zwischen die schöpferischen Impulse und das Artefakt. Die Arbeit wird körperlos, Malen zur Konzeptkunst. Ein Verlust einerseits, doch wohl auch ein Weg zu neuen Möglichkeiten.
Stable Diffusion ist lustig. Ein und dieselbe Texteingabe zur Bildgenerierung kann heute ein anderes Bild ergeben als gestern. Ein Algorithmus mit Tagesform. Der Zufall spielt mit, das macht die Sache spannender – aber auch noch undurchschaubarer.
