Kategorien
Wörterbuch

Metapher

Dominique Ingres: Kaiser Napoleon I., 1806

…die größte Macht, die der Mensch besitzt. Sie grenzt an Zauberei und ist wie ein Schöpfungsgerät, das Gott im Innern seiner Geschöpfe vergaß, wie der zerstreute Chirurg ein Instrument im Leib des Operierten.“ So poetisch – und metaphorisch – begeisterte sich José Ortega y Gasset einst für die Leistung der „Metaphora“, griechisch für „Übertragung“, des bildlichen Denkens also. Metaphorik ist eine grundlegende Fähigkeit, ein Instrument der Imagination und damit Quelle sowohl innerer als äußerer Bilder.

Oft wird die Metapher lediglich als rhetorisches Mittel betrachtet. Doch ihre Kraft als sinnfälliger und überzeugender Vergleich, ob in der Bildkunst, der Poesie oder der politischen Rede, rührt aus ihrer tiefen Verankerung im menschlichen Wahrnehmen und Denken. Die Konzepte für die Welterfahrung, die wir von Geburt an lernen, sind metaphorisch. Raum- und Zeitgefühl, der Sinn für Bewegungen, das Gespür für die soziale Interaktion, die Basiserfahrungen also, entstehen zuerst aus körperlichen Aktionen und werden in inneren Bildern gespeichert, die noch vor der Sprachentwicklung konkrete Erfahrungen mit abstrakten Ideen kognitiv verbinden. Die „Zauberei“ der bildlichen Sprache entsteht aus diesem körperlichen Phänomen und entwickelt es kulturell fort.

Das spielt im Alltagsbewusstsein selten eine Rolle. Man kann nicht sagen, dass die Metaphern uns in Fleisch und Blut übergegangen sind, denn sie kommen daher. Aber es stimmt, dass sie allgegenwärtig und unbewusst verwendet werden. Als „geistige Brücken“ hat sie eine Forscherin einmal schön bildlich geschildert, Brücken, die zwischen zunächst unvereinbar erscheinenden Dingen geschlagen werden können, so dass im Denken etwas Neues entsteht. Anknüpfungspunkte (Knüpfen ist eine Metapher aus der Textiltechnik) dazu bieten Parallelen, Ähnlichkeiten, die Möglichkeit des Vertauschens. Ähnlichkeit im Sinne einer Pars-pro-toto-Relation liegt bereits in der Struktur der Metapher; sie ist kein Symbol, also nicht konventionell im Sinne von vereinbartem Zeichen für etwas, sondern Bild und Abgebildetes haben immer etwas Gemeinsames.

Die Einheit von Wahrnehmen und Denken funktioniert nicht ohne metaphorische Konzepte, sie ermöglichen Erfahren und Verstehen. Daher auch künstlerisches Denken und seine Erklärungen. „Beispiel: das Schöpferische. Man schöpft aus einem Gefäß. Das Reservoir des Künstlers wird imaginiert als ein dreidimensionales Gefäß, als ein umgrenzter Raum. Nun stellt der Schöpfer etwas her – das ist wieder ein Teil des räumlichen metaphorischen Konzepts, zudem Teil des Konzepts Kausalität.“ (https://artigart.de/metapher-als-konzept/)

Dass bildlich vergleichende Formen nicht nur in der Sprache, als verbales Kunstmittel vor allem in der Literatur eine Rolle spielen, sondern auch visuell oder akustisch vorkommen, liegt in der Natur der Sache Bild. In der Musik gibt es Rhythmen, die zeitlich-räumliche Strukturen markieren ebenso wie Natur-Anklänge, von der Vogelstimme bis zum Wellengewoge. In der Kunst begegnen wir Metaphorik in der gegenständlichen wie in der abstrakten Malerei oder Plastik.

Gegenständliche Bildmetaphern nutzen das Potenzial der Bedeutungsübertragung programmatisch. So hat Dominique Ingres 1806 Kaiser Napoleon I. mit einem Herrscherporträt in Lebensgröße beglücken wollen, das alle Register der Bildpropaganda zieht: Bezüge zu antiken Göttern, ein Rundbogen wie ein Heiligenschein, das Schwert Karls des Großen und viele andere Details sollen das Image Bonapartes aufladen zum weltgrößten Herrscher aller Zeiten. Politische Kunst funktioniert bis heute nach solch metaphorischen Strategien.

Im Nichtgegenständlichen kann es keine inhaltlich bestimmten Metaphern geben; die Abstraktion spricht das Raum- und Zeitgefühl in größerer Offenheit und Freiheit an. Das bietet Möglichkeiten für das Erfinden neuer visueller Metaphern. Bei Emilio Vedova zum Beispiel wird der Raum seiner gestisch-expressiven Malerei-Objekte als Metapher der menschlichen Existenz beschrieben; er vermittelt Eindrücke von Enge und Ausbruch, körperlicher Aktion, konflikthaftem Geschehen in nicht mehr zentrierten Welten.

Faszinierend finde ich auch die Mischform, die Abstraktion in der Gegenständlichkeit, für die Fra Angelico ein frühes Exempel liefert: Seine Verkündigungsszene – das Fresko in San Marco entstand 1440 bis 1442 – zeigt außer den Figuren nur einen kargen leeren Innenraum. Die prominente Mitte des Bildes ist eine leuchtend weiße Fläche, gegenständlich gesehen eine Wand, gleichzeitig ein purer Reflexionsraum, der gut ein Fünftel der Bildfläche einnimmt. Eine Metapher der Reinheit der himmlischen Mächte. Und ein Vorschein auf die Spiritualität abstrakter Kunst etwa 470 Jahre später.

Fra Angelico: Verkündigung, 1440-1442

Kategorien
Wörterbuch

Imagination

Am Prager Moldau-Ufer: Liest Kafka ein Buch? Oder ist es Hašek? (Foto: Jürgen Röhrig)

Lebensnotwendig, ein Instrument sowohl der Wahrnehmung wie der Gestaltung. Für das innere Bild, das geistige, gibt es viele Synonyme: Einbildung, Vorstellung, Fantasie, Traum, Halluzination – unter anderen. Es macht keinen Sinn, allein bewusste Imaginationen, etwa künstlerische Strategien der Bildvorstellung zu behandeln, denn diese sind ohne die unbewussten alltäglichen Wahrnehmungs- und damit Imaginationsfähigkeiten nicht zu haben.

Der Begriff inneres Bild verführt dazu, nur den visuellen Sinn zu beachten. Dabei lassen sich Geruchssinn, Tastsinn und andere, auch Synästhesien aus der Wahrnehmung normalerweise nicht ausschalten. Sinne wirken zusammen beim Entstehen mentaler Bilder, was das Gehirn und andere möglicherweise beteiligte Körperregionen nicht beobachten können. Empirisch vorgehende Forscher haben ermittelt, dass an der „Manipulation“ von Imaginationen nicht allein der visuelle Kortex, sondern auch mehrere andere Hirn-Areale beteiligt sind. Und dass nicht nur das Gehirn betroffen ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass aus motorischen Aktionen, verbunden mit mehr oder weniger spezifischen Erwartungen, Imaginationen entstehen, was insbesondere in frühen biologischen Entwicklungsstadien eine Rolle spielt. Der Fokus auf der visuellen Wahrnehmung, schon in der Begrifflichkeit „Bild“, entspricht also kulturellen Gepflogenheiten, der Bevorzugung des Visuellen, trifft aber die realen Prozesse nicht genau.

Sinneseindrücke werden mit gespeicherten Erfahrungen abgeglichen und mit Antizipationen verbunden, um eine Situation zu erfassen. Besteht Gefahr? Oder Aussicht auf Nahrung? Solche Imaginations-Motivationen stammen aus der Frühzeit menschlicher Entwicklung und unterscheiden uns auch heute nicht von den Tieren. Welche erstaunlichen Imaginationsfähigkeiten zum Beispiel Delfine oder Schimpansen haben, ist mittlerweile gut erforscht.

Wiederholte Erfahrungen durch Einwirkung von außen, negative wie positive, dazu auch innere Bilder, die zu Erfolgen führten, verankern sich im Langzeitgedächtnis, das sich aus individuellen wie kollektiven Quellen speist. Diese Erinnerungsbilder fliessen in ein System von metaphorischen Konzepten, die Wirklichkeit interpretierbar machen. Metapher heißt Sprachbild, doch auch hier ist die Begrifflichkeit unscharf, denn diese Konzepte entstehen der Kognitionswissenschaft zufolge bereits vor der individuellen Sprachentwicklung. Man geht von zwei verbundenen Systemen im Gehirn aus: Das eine speichert verbale, das andere nonverbale Informationen. Wobei die bildhaften Daten besser verstanden und gespeichert werden können.

Diese inneren Bilder und Bildkonstruktionen werden automatisch abgerufen, wenn ein passender Trigger auftaucht. Und sie können bewusst hervorgerufen werden. Das hat praktischen Nutzen: Im Licht vorstellbarer Alternativen können Probleme besser gelöst werden. Orientierung im Hier und Jetzt und Vorausschau wirken imaginativ zusammen.

Schlafträume und Tagträume sind weitere Imaginationsphänomene mit eigener Struktur. Halluzinationen, eher unerwünscht und sicher nicht lebensnotwendig, deuten auf Behandlungsbedarf hin. Aktive Imagination ist in der Medizin aber auch eine Technik, in der psychosomatischen Therapie zum Beispiel.

Die aktive Neuproduktion von inneren Bildern, und damit kommen wir in den vornehmen Bereich menschlicher Fantasie und Kreativität, eröffnet natürlich weitere Möglichkeiten über das praktische Verhalten in der Welt hinaus. „Methodische Imagination“ habe ich die künstlerischen Strategien genannt, die den Werkprozess ermöglichen (https://artigart.de/methodische-imagination/). Sie verbinden das implizite, im Körpergedächtnis gespeicherte Wissen und die Möglichkeiten der Neuschöpfung auf besondere Weise.

Kategorien
Wörterbuch

Bild

Manfred Mahsberg: Porträt Walter Benjamin (ca. 7,5 x 7,5 cm).

Allgegenwärtig, aber im Grunde ein Spezialfall. Ein Bild als statisches Objekt oder als prozesshaftes Phänomen (laufende Bilder) spricht in der Regel vor allem den Sehsinn an. (Es kann auch duften, zum Beispiel nach frischer Ölfarbe. Bei einem Relief ist auch das Raumempfinden beteiligt. Das Visuelle steht aber immer im Vordergrund.) Während sich der Mensch im Normalfall mit allen Sinnen auf die Welt richtet, Gefühl für Raum, Zeit und Atmosphäre hat, ist er vor einem Bild vor allem eben auf seine Augen angewiesen.

Das Bild als Objekt ist immer gemacht, ein Artefakt. Auch ein Zufallsfund in der Natur, auf Mauern oder im Abfall kann zum Bild werden nur durch die Entscheidung, es zum Bild zu erklären; eine minimale Form von Gestaltung, ausgehend vom Sehen. Der Akt besteht im Herausheben, Abgrenzen. Das ist auch für alle anderen Bilder wichtig: die begrenzte Fläche auf einem materiellen Träger, mit oder ohne Rahmen. Die Grenze eines Bildes muss dabei nicht in jedem Fall eine exakte Linie sein. Eine Szene auf einer Höhlenwand oder ein Spraybild auf einer Fassade etwa bezieht den Umraum mit ein und endet, wenn es nicht die gesamte Wand ausfüllt, da, wo sich seine motivische oder formale Ausstrahlung verliert.

Es gibt im übrigen keine Einschränkung der Technik, des Inhalts oder der Form bei der Bilderzeugung. Ein solches Artefakt kann abbildend (auf ein Vorbild bezogen) oder nicht abbildend (abstrakt, konkret) sein. Weshalb Abbild- oder Zeichentheorien immer nur einen Teilbereich des Phänomens behandeln können.

Das innere Bild, die Imagination, ist ein ganz anderer Fall. Was sich mental abspielt, hat weder Objektcharakter noch Raumgrenze. Imagination ist ein anderes Stichwort.

Wie mit Bildern konkret umgegangen wird in Produktion und Rezeption, das ist in den Kulturen und in geschichtlichen Epochen selbstverständlich unterschiedlich. Bildverstehen zu erklären, ist nicht ohne den Blick auf biologische Voraussetzungen und kulturelle Konventionen möglich. Ein Bild zu sehen ist Thema der Optik, es zu erkennen Thema der Kognition. Beides lässt sich schwer trennen; Sehen wird immer sogleich mit Wissen, mit Erfahrungen verbunden.

Der hier angestrebte Bild-Begriff soll allgemein und grundlegend sein. Er würde dann auch für alle Bild-Theorien gelten, von denen es eine Fülle gibt. Ebenso für die anthropologische Frage, was das erste Bild der Menschheit war.

Also haben wir vier Kriterien: Ein Bild ist ein auf begrenzter Fläche für die Augen gestaltetes reales Objekt.