
Ein Selbst stellt sich dar, bringt sein Ich und sein Selbstbewusstsein ans Licht.
Das Ich steht im Verhältnis und im Unterschied zum Du oder Wir. Die Wendung „ich selbst“ legt den Fokus auf die Selbstbetrachtung. Das Porträt will aber mehr, es soll das Ich den Anderen zeigen.
Das Selbst lässt sich nicht biologisch erklären, es lässt sich nur erleben. Wenn es zum Gegenstand wird, im Porträt wie in jeder anderen Form, dann zuerst zum Gegenstand der Selbsterfahrung, darauf fußend zum Phänomen, das sich diskutieren und begrifflich deuten lässt.
Es gibt also ein Vorbild und ein Abbild. Ginge es nur um äußere Ähnlichkeit, um detailgenaue Übertragung, wäre die Sache einfach. Und das Selbstbildnis vielleicht von eher geringem Interesse. Es ist aber viel komplizierter, denn schon das Vorbild, das Selbst, ist schwer festzustellen, es ist in Bewegung, positiv formuliert, realistisch gesehen unsicher, von innen und außen unter Druck. Das macht die Darstellung prekär. Und daraus folgte, dass Ähnlichkeit mit der Zeit (spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts) immer unwichtiger wurde. In allen Epochen bis heute aber gilt das Porträt auch als ein Instrument der Seelensuche oder der Seelenanatomie; es liefert dann Anzeichen für Innerpsychisches. Die andere Variante legt den Fokus auf Signale der sozialen Position, auf sachliche oder ironische Weise.
Aber was ist das Motivmaterial das Genres? Dazu zählt selbstverständlich die Ansicht der Person – zu sehen im Spiegel oder im Foto, wenn es um das Äußere geht; zu sehen im Röntgenbild, in Bildern tomografischer Verfahren, in der Darstellung von DNA-Sequenzen und anderer Durchleuchtungsmethoden, die Daten des Ich zu Tage fördern. Außerdem ist Selbstkenntnis eine Quelle, die zu gestalterischen Entscheidungen führt, sprich: das Wissen um die eigenen Gefühle, Absichten, die aktuelle Lage und den biografischen Hintergrund. Das findet seine Form ebenfalls in Mimik, Gestik, Requisiten und Raumatmosphäre.
Welche Informationen das nicht Bewusste, das ins Bild unvermeidlich einfließt, enthält und in welcher Form sich das äußert, lässt sich – wie bei aller Kunst – wenn überhaupt nur schwer erschließen. Dass es diesen Anteil gibt, verunsicherte viele Künstler. Andere verbanden damit die Hoffnung, im eigenen Porträt mehr über sich zu erfahren.
Künstler*innen arbeiten an ihren Porträts geleitet von ihren Wünschen, Ängsten und Überzeugungen. Ihre Selbstbefragung erscheint mal selbstbewusst, mal unsicher, bis hin zum sichtbaren Ringen um das Bild, auch bis zur Selbstauflösung. Es gibt Bilder, die von subjektiver Not, von einem Verlust von Vernunft und von Existenzangst sprechen. Andere gehen spielerisch, mitunter naiv oder aber kritisch mit den Thema um. Auch dieses Genre ist durch die Geschichte ein Spiegel der jeweiligen kulturellen Situation.
Pragmatisch betrachtet, hat es keinen Zweck, nach einem irgendwo fest verankerten Ich oder Selbst zu suchen, denn das Ich verändert sich handelnd, gerade auch durch die Formen seiner Selbstdarstellungen. Das beinhaltet aber auch die Chance des Selbstporträts, das kein Abbild ist, sondern ein Versuch, ein Entwurf, eine Behauptung.