Auf zum nächsten Turn

Eines der äußerst seltenen Fotos vom affective turn, kurz nach dem Paradigmenwechsel

Zu einer Mode hat es sich in den Wissenschaften entwickelt, alle paar Jahre eine Wende, wenn nicht gar eine Kehrtwende auszurufen. Meist wird das, im üblichen Jargon, englisch als Turn bezeichnet. Die „ikonische Wende“ beispielsweise war, bereits in den 1990er Jahren, eine Emanzipation von den abstrakten Begriffen, eine Aufwertung der konkreten Bilder in Kunst und Alltagskultur. Ein durchaus sinnvoller Perspektivenwechsel also.

Ohne Anstrengung habe ich flott ein Dutzend solcher Turns gesammelt: Mittlerweile gibt es den affective turn, den cultural turn, die emotional, iconic, imagic, linguistic, material, pictorial, spatial, topographical, topological turns und schließlich den visualistic turn. Hinweise auf weitere nehme ich gerne entgegen. Kaum zu glauben, dass sich das Denken und Forschen so schnell drehen kann. Ohne dass einem auf diesem Karrussel schwindlig wird.

Mir liegt nicht an einer Polemik gegen die Erneuerungsfähigkeit der Wissenschaften, doch diese ist nun gar nicht neu. Lesen wir Montaigne, schauen wir auf die Romantiker oder blättern gleich bei Goethe, nicht zu vergessen Nietzsche, Marx, Einstein… Jeder mag noch seinen, ihren Kometen beisteuern. Warum also diese ständig gewendeten Wendungen? It’s marketing, my dear.

„There is a season turn, turn, turn“ heißt es im Evergreen von Pete Seeger: Das könnte die Hymne des Turnvereins sein,  und Gründervater wäre Thomas S. Kuhn – sein Begriff des Paradigmenwechsels aus seinem Klassiker „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ ist ja mittlerweile Folklore und steht in Verdacht, schuld an dieser Mode zu sein.

Gerade die Erforschung der Künste ist von den Turns betroffen, in der Affektpoetik (emotianal turn) zum Beispiel und generell mit den cultural studies, den wichtigen ethno-, anthropo- und sozio-logischen Horizonterweiterungen.

Wenn es nicht beim Looping bleibt, der nach 360 Grad wieder am Ausgangspunkt ankommt, dann geht’s mit Hilfe der Turns durchaus voran: Die Spirale ist das sprechende Bild dafür, nicht der Kreis – der endet wie der hermeneutische Zirkel. Nebenbei eine neue Perspektive auf Tatlins Turm, vielleicht. Auf jeden Fall Kunstflug ohne Lärm und Abgase.

Die Anstrengungen der Wissenschaft, ihr Denkvermögen so zu plakatieren, können Künstler*innen durchaus belächeln. Von der Sache her kann es sie nicht überraschen. Gute Kunst war immer auch das Ergebnis von unabhängigem Praxis-Denken. Turns gehören da zum Prozess. Und hier ist dann der oft zitierte Satz eines Künstlers, von Francis Picabia, tatsächlich einmal passend: „Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“