Der Anfang aller Malerei ist weiblich

Der Anfang der Malerei in der Geschichte der Menschheit war wohl nicht, wie bisher gerne angenommen, reine Männersache. Anthropologische Untersuchungen deuten sogar darauf hin, dass überwiegend Frauen die ersten Bilder an Höhlenwänden gemalt haben.

Lange Zeit war es selbstverständlich, die Gesellschaften der Urgeschichte nach sozialen Mustern der  Gegenwart zu schildern. Die (männlich dominierte) Anthropologie ging früher davon aus, dass schon in der Steinzeit Kleinfamilien das Leben organisierten und die Rollen so verteilt waren, wie im Europa des 19. Jahrunderts: Die Männer machten die schwere Arbeit, die Frauen hüteten Kinder und Feuerstelle. Und für die schöpferischen Leistungen, eben auch die Malerei, waren die Steinzeitherren zuständig. Vielleicht durfte die Frau noch den Ocker dazu mahlen.

So wie der Homo sapiens zuletzt die Enttäuschung erleben musste, dass er die frühe Kunst nicht dem Neandertaler voraus hatte, sondern auch dieser ausgestorbene Zweig der Hominiden bereits Artefakte schuf, so muss zumindest der männliche Teil sich nun auch die Erfindung des künstlerischen Wirkens als Alleinstellungsmerkmal abschminken.

Dean Snow, Archäologe und Ethnohistoriker an der Pennsylvania State University, gilt als der, der den Stein ins Rollen brachte. Er untersuchte 2013 in französischen (Lascaux und Chauvet) sowie in spanischen Höhlen die rund 30 000 Jahre alten farbigen Handabdrücke auf den Wänden neben den berühmten Tierdarstellungen mit Hilfe der „geometric morphometric analysis“. Das Ergebnis: 75 Prozent der Abdrücke stammen von Frauenhänden. Es gab auch Kinderhände, die wenigsten waren männlichen Ursprungs. Mittlerweile haben weitere Wissenschaftler an anderen Orten ähnliche Befunde erstellt.

Vor dem Hintergrund neuerer anthropologischer Erkenntnisse, die eine quasi moderne Arbeitsteilung der Geschlechter für die Urzeiten verneinen, ist das Ergebnis auch nicht so erstaunlich. Wenn Männer und Frauen gleichermaßen auf Jagd gingen und eher die älteren Sippenmitglieder für Nahrungszubereitung und Kinderhüten zuständig waren, warum sollten die gemalten Jagdszenen dann ausschließlich von Männerhänden stammen?

Dass aber sogar überwiegend die Frauen für die Kunst zuständig waren, wird noch bezweifelt. Die Methode von Snow sei nicht sicher und müsse noch verfeinert werden, meinte 2016 eine Forschergruppe um Emma Nelson (Biologin an der University of Wisconsin, wenn das Internet stimmt). Seitdem wird hoffentlich verfeinert; man darf auf das Ergebnis noch gespannt sein. Jedenfalls lässt sich der Umkehrschluss, dass doch mehr Männer die Höhlenwände bemalten, nicht rechtfertigen.

Die gesellschaftlich gleichberechtigte Stellung, die die Künstlerinnen sich seit einigen Jahrzehnten allmählich wieder erarbeiten, hatten sie am Anfang aller Kunst offenbar schon einmal inne.