Der Bilderfinder

62. Arbeit 2018, Acryl auf MDF, 40 x 30 cm. Foto: Wolfgang Grümer

Jedesmal, wenn ich Hans Delfosse in seinem Atelier besuche, hängen neue Bilder an der Wand, die in den Tagen davor entstanden sind. Sein Werkprozess kennt keine längere Unterbrechung. Auf einem der großen Tische liegen bereits die nächsten angefangenen Arbeiten: Erste Aquarell-Linien sind auf dem Blatt zu sehen, eine Grundlage für eine gewebeartige Struktur aus vertikalen, horizontalen und diagonalen Parallelen. Wenn diese Strichlage getrocknet ist, folgt mindestens eine weitere. Die Lasuren entwickeln sich zu den am Ende gültigen Farbtönen, die Geraden ergeben die hellen und dunklen Flächen, die in sich differenzierte Gesamtform – ein Stoff, der genauso präsent wie rätselhaft ist, der zum geduldigen Sicheinsehen einlädt in Komplexität und Nuancen.

Der Künstler experimentiert konsequent mit den Möglichkeiten der Techniken – neben dem Aquarell vor allem Acrylmalerei und Papiercollage – und des Materials – außer Aquarellpapieren nimmt er zum Beispiel Hartfaser, MDF und OSB als Malgründe – und findet dadurch überraschende neue Ergebnisse.  Dieselbe Zeichentechnik und Bildstruktur kann auf der rauen OSB-Spanplatte einen vollkommen anderen Charakter annehmen als auf dem Büttenpapier.

Die Flächen können aber auch vollkommen mit feinen Schraffuren in wechselnden Richtungen oder mit Feldern von Punkten bedeckt sein. Jeder neue Parameter potenziert die Zahl der möglichen Kombinationen und Varianten.

Wenn er Blätter zuerst mit organischen Formen bemalt oder bereits bedruckte Papiere – Abbildungen seiner Arbeiten aus Katalogen z.B. – benutzt und dann sein strenges Linienraster darüberlegt, ergibt sich eine spannende Dissonanz der Schichten, etwa zwischen einem eher informellen und dem geometrischen Teil.  

Eine andere Variante des Eingriffs in das Gewebe ist die darübergelegte Linie, die Felder abgrenzt und Richtungen markiert. So entsteht eine weitere Bildebene, die die Regelmäßigkeit der Parallelen durchbricht. Allerdings ist diese Regelmäßigkeit ohnehin relativ: In den Allover-Strukturen wimmelt es von subtilen Abweichungen, das Raster scheint geradezu seinen eigentlich Sinn als Ausgangspunkt für Unregelmäßigkeiten zu haben. Die Acrylarbeiten auf glattem Chromoluxkarton zeigen das deutlich: Hier wird die Farbe nach dem Auftrag mit einem harten Gegenstand in Linien wieder abgenommen. Es entstehen Unschärfen in dem noch zähflüssigen Acryl, schwimmende Ränder und verschiedene Farbstärken.

Einer kunsthistorischen Einsicht über die freie Abstraktion zufolge entstehen nichtgegenständliche Bilder durch originelle Arbeitsverfahren, durch die Erfindung  einer Methode. Die scheinbar einfachste Variante wäre das monochrome Farbfeld. Dann käme die Farbfeldmalerei, die gestische Abstraktion und so fort. Hans Delfosse setzt auf Verfahren, die, wie beschrieben, zu reich differenzierten Bildern führen, indes ist er bei einer einzigen Methode nicht stehen geblieben: Er hat das Methoden-Erfinden selbst zum Verfahren gemacht.

So hat er Techniken der Radierung umfunktioniert: Seine „Ritzzeichnungen“ entstanden mittels Radiergriffel auf schwarz eingefärbten Papieren. Diese Zeichnungen, bzw. Drucke davon,  tauchen heute in Collagen wieder auf. In die neuen Kombinationen seiner feinen Linienstrukturen setzt er frei gestellte schwarze Linien, ebenfalls mit dem Messer ausgeschnitten und teilweise wie in einer Intarsienarbeit eingelegt.

Noch ganz andere kompositorische Möglichkeiten eröffnet der Leporello. Die gefalteten Zeichnungen lassen sich zu – teilweise über fünf Meter langen – Großformaten oder nur in Teilen entfalten. Daraus ergibt sich eine Fülle von Varianten. Hier wird das Bedürfnis des unermüdlichen Bildererfinders wohl besonders deutlich, dem künstlerischen Prozess immer neue Wege zu weisen. (Siehe dazu das Kapitel „Entfaltete Bilder“ in diesem Blog.)

Die Ideen kommen beim Machen. Das Problem für Hans Delfosse ist nicht, dass die künstlerische Imagination ein knappes Gut ist. Seine methodische Abstraktion folgt seinem Wissen, seinem handwerklichen Können, seiner Reaktionsfähigkeit im Dialog mit dem Material und nicht zuletzt seiner bildnerischen Neugier. Eine nichtgegenständliche Malerei und Grafik, längst befreit von der Aufgabe, metaphysische Bedeutungen transportieren zu müssen, kann gleichwohl viel bedeuten: Aktualisierte schöpferische Freiheit etwa, und ein erfülltes ästhetisches Glücksversprechen für den Macher wie den Betrachter gleichermaßen.

Ist ein Werk fertig, der Künstler vom Ergebnis überzeugt, verdrängt es ein früher entstandenes von seinem Platz an der Atelierwand. Ein Bild enthält die Impulse für das nächste – auf dem Arbeitstisch kann das Bilder-Finden/ Bild-Erfinden also weitergehen.

hans-delfosse.de

(Die Ausstellung „Hans Delfosse: Malerei, Papierarbeiten, Leporellos“ im Museum Burg Wissem in Troisdorf endet am 1. Mai mit einer Künstlerführung um 15 Uhr.)

78. Arbeit 2017, Acryl auf Chromoluxkarton, 109 x 78 cm. Foto: Wolfgang Grümer