
Aufmerksam, ernst und selbstbewusst scheint er uns anzublicken, Jan van Eyck auf seinem Selbstporträt von 1433. Wäre da nicht die verwegene rote Kopfbedeckung, wirkte das Bild nur still und düster. So bekommt der leuchtende „Turban“ ein besonderes Gewicht, aber auch der vergoldete Rahmen mit seiner aufgemalten Schrift ist Teil der Inszenierung des Renaissance-Malers. Unten Autor, Datum und oben das Bekenntnis „als ich kan“ (so gut ich es kann) unterstützen den dokumentarischen Charakter. Das Werk gilt als das älteste bekannte autonome Selbstbildnis in der europäischen Kunst.
Hier hat sich ein erfolgreicher Bürger, der auch in höfischen Kreisen gut situiert war, in genau dieser Rolle gespiegelt, sehr naturalistisch und detailliert in ausgefeilter Technik der Ölmalerei. Er wollte zeigen wer er ist und wie gut er es kann. Ihm reicht der statische Ausschnitt, das Brustbild, wie den meisten Selbstporträtisten in Folge. Er agiert nicht, er posiert. Der forschende Blick ist interpretiert worden als der des Malers, der sich selbst im Spiegel beobachtet. Das ist aber nicht der plausible Grund, warum van Eyck seine Betrachter so fixiert. Er kann es sich leisten, den Blick nicht zu wenden oder zu senken, er braucht kein Lächeln, keine Mimik, die ihn anders charakterisieren würde als selbstbewusst und gesetzt. Dass um ihn ein prachtvolles Leben und weit reichendes Wirken zu vermuten sind, dafür steht das lebhaft gefaltete Tuch.
Am Beginn der Geschichte des Selbstporträts finden wir demnach ein offenbar gesichertes Selbst, eine gezielte Blickregie und die Spiegeltechnik – alle drei Aspekte werden im Laufe der Entwicklung der Gattung Selbstbildnis eine Rolle spielen, sich aber erheblich wandeln. Das Selbst wird seine Sicherheit verlieren, die Macht des Blickes wird kritisiert und der Spiegel als Metapher und Werkzeug in Frage gestellt werden. Um van Eyck zu verstehen, ist nicht allein sein ökonomischer und sozialer Erfolg wichtig, sondern zum Beispiel auch die Tatsache, dass sich der Mensch damals als Mittelpunkt eines göttlich geordneten Universums empfand. Dass die Sonne sich nicht um die Erde dreht und deren Bewohner in Wirklichkeit eine Randerscheinung im Kosmos sind, brachte Kopernikus erst 110 Jahre später ins Spiel.
Noch einmal eine lange Zeitstrecke weiter, 1998, hat das Selbst seine „Seele“ längst verloren; sein äußeres Bild und damit der Blick des Porträtierten spielen keine Rolle mehr. Aber es gibt den Spiegel noch, allerdings in anderer Funktion. Von Andreas Horlitz stammt das „Autoporträt DNA“, es zeigt stark vergrößert DNA-Sequenzen aus Genmaterial des Künstlers auf einer teilweise verspiegelten Glasfläche. In diesem abstrakten Bild ist nichts Persönliches, Individuelles mehr lesbar abgebildet, zumal der größte Teil der DNA der Menschen gleich ist. Im Gegenteil, die Spiegelpartien zeigen den Betrachter, Horlitz lässt sein „Autoporträt“ mit Detailansichten des Gegenübers verschmelzen. Das folgt der grundlegenden Idee der modernen Kunst, das Werk entstehe in der Kommunikation.
Die Selbstbeobachtung verlässt hier den Standpunkt der Ich-Perspektive (die geisteswissenschaftlich-hermeneutische Position) und nimmt den naturwissenschaftlich-analytischen Standpunkt ein. Dass das Ich sich in der Selbstreflexion selbst zum Objekt wird, haben wir schon bei van Eyck gesehen. Und immer ging es in der Porträtmalerei darum, hinter der Erscheinung das „Wesen“ zu entdecken – mit den Mitteln der Imagination. Nun aber dringen bildgebende Verfahren in den Körper ein, und sie fördern keine Seele zu Tage. Die Selbstbespiegelung wird sich fremd.
Und was war in der Zwischenzeit passiert? Die Kunstgeschichte des Selbstporträts spiegelt ihrerseits die zahlreichen tiefgreifenden sozialen und kulturellen Umbrüche sowie Wandlungen der Neuzeit. Darüber ließen sich mehr als dicke Bücher schreiben. Die äußere Ähnlichkeit als Kriterium des Genres ging schon vor mehr als hundert Jahren verloren. Nicht erst Paul Klee und später Arnulf Rainer oder Frank Auerbach abstrahierten, verfremdeten oder übermalten das Gesicht. Ein bemerkenswertes Selbstbildnis in dieser Hinsicht ist „Der Schrei“ von Edvard Munch 1893. Es wird in der Kunstwissenschaft nicht als Selbstporträt geführt, ist in meinen Augen indes ein Prototyp der Art von Selbstdarstellung, die mit psycho-kulturellen Problemen nicht nur ringt, sondern sie gestaltet. Da ließe sich auch Vincent van Gogh anführen, und nach Munch vor allem Antonin Artaud.
Es gilt als gesichert, dass Munch in dem Motiv ein Angsterlebnis verarbeitete, das er während eines Spaziergangs in der norwegischen Natur hatte: „Der Himmel wurde plötzlich blutig rot (…), ich fühlte etwas wie einen großen, unendlichen Schrei in der Natur.“ Die Figur vorne mit dem weit geöffneten Mund, den vor Entsetzen aufgerissenen Augen und den schützend vor die Ohren gelegten Händen hat das unheimliche Erlebnis verinnerlicht, inkorporiert. Der Schrei ist wirklich gefühlt, nicht bloß akustische Halluzination. Der abgründige Strudel der Landschaft verweist auf innere Labilität.
Vernunft, Autonomie und Selbstkontrolle sind gefährdet, das „Unbehagen in der Kultur“, wirtschaftliche Not, Kriege, das alles steht im Hintergrund; Munch hat zu dieser Zeitdiagnose ein eindrucksvolles Selbstbildnis geschaffen.
Und wieder sind, das soll dem fragmentarischen Blick auf das Thema nicht entgehen, die Künstlerinnen erheblich unterrepräsentiert. Das gilt nicht speziell für dieses Genre, hat hier aber gerade unter den Aspekten des Selbstbewusstseins und der Macht der Blicke ein Gewicht. Man findet sie, die Malerinnen, vereinzelt in früherer Zeit – wie Artemisia Gentileschi im Barock, Therese Schwartzer im bürgerlichen Realismus -, und häufiger dann in der Moderne bis heute. Meret Oppenheim experimentierte 1964 mit Röntgentechnik, löste das Genre gänzlich von der Wiedergabe des Äußeren.

Dass ein Selbstporträt in seiner Inszenierung auch etwas mit Maskerade zu tun hat, zeigt Carola Willbrand mit ihrem Künstlerbuch „Utensilien einer Verwandlung“ von 2002. Der mit Stoff – Muster Schlangenhaut – bezogene Kasten enthält ein Leporello mit sieben Nähmaschinenzeichnungen auf farbigem Papier, auf den Rückseiten Zeichnungen mit Permanentmarker und Gegenstände wie Plastik-Ohren und -Nase sowie für den Mund eine Party-Tröte. Um in der „Berufsrolle Künstlerin“ in die Welt zu treten, so Willbrand, braucht es Berufskleidung – „die Assoziation zum Karneval ist unvermeidlich“. Ein Foto im Kastendeckel zeigt das Ergebnis. Zur Selbstreflexion gehört hier eine Portion Selbstironie; ernsthaft bleibt die Auseinandersetzung mit Rollenklischees, mit den (so Willbrand) „Verbindungen zwischen dem Individuellen und dem Kulturellen und seinen Überformungen“.
Und in jüngerer Zeit, 2019, lieferte Alicja Kwade einen weiteren ironischen Beitrag, eine Bronzeplastik „Selbstporträt als Geist“, geformt nach einem 3-D-Scan. In ihrer exakten Lebensgröße steht da die Kwade-Figur verhüllt mit einem großen Tuch – vordergründig das klassische Gespensterklischee. Die Porträtierte blickt nicht, auch nicht in den Spiegel, und sie entzieht sich den neugierigen und möglicherweise aufdringlichen Blicken. Kwade interessiert nicht die Oberfläche, sie meint es ernst mit dem „Geist“. Und sie wendet sich gegen die Abstraktion von Röntgen- und Tomografie-Bildern. Die Idee des Geistigen einer Person bleibt gebunden an den physischen Leib und seine Inszenierung.
Das gilt auch für die Position von Sabine Hack, die sich (ebenfalls 2019) auf ähnliche Weise verhüllt darstellte. Die Fotografie mit dem Titel „Selbst (Faun)“ entstand spielerisch spontan während einer Session mit einem Fotografen. Das mit floralen Motiven bedruckte Baumwollhalstuch verbirgt nicht nur, sondern gestaltet auch den Kopf der Künstlerin. Es zeigt ein anderes Gesicht, das aber typisch ist für Sabine Hack, die für ihre Objekte oft Textilien mit organischen Ornamenten verwendet. Das Rätselhafte daran eröffnete ihr die Assoziation zu dem Fabelwesen Faun, dem mit der Fauna verwandten Naturgeist.

Über das Thema „Die (Un-)Möglichkeit des Selbstporträts“ diskutiert die offene Gesprächsrunde „Kunst & Brot“ am Donnerstag, 8. Mai, in der Stadtbibliothek Siegburg, Griesgasse. Beginn 18 Uhr.