Empathy for the Beuys

„Sztuka“ ist das polnische Wort für Kunst. Der junge Joseph Beuys kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Luftwaffensoldat in Polen und der Sowjetunion; er war Stuka-Flieger. Klingelt da nichts? Nein? Dann wird aber nichts aus der Verschwörungstheorie! Liegt es nicht auf der Hand, dass der Mann aus Kleve schon die Kampffliegerei als schöpferischen Akt betrachtete? Und logischerweise später umgekehrt seine Kunst als eine Art verlängerten Kriegseinsatz?

Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Die Klangähnlichkeit des polnischen Sztuka und der deutschen Abkürzung für Sturzkampfbomber verweist auf keinerlei inhaltlichen Bezug, reicht aber offenbar als Initialzündung für ein Scheinargument in der Erzählung, Beuys sei im Grunde nie von der Nazi-Ideologie losgekommen. Es findet sich prominent in dem Buch „Flieger, Filz und Vaterland. Eine erweiterte Beuys-Biografie“ von Frank Gieseke und Albert Markert. Man müsste auf diese Veröffentlichung von 1996 nicht mehr zurückkommen, wenn sie nicht in diesem Beuys-Jubiläumsjahr 2021 hier und da wieder zitiert würde. Dieser alte Verdacht gegen den Künstler hat offenbar noch immer einen Sensations-Restwert. 

Gieseke und Markert schildern, wie grausam der deutsche Vernichtungsfeldzug im Osten war und dass Soldat Beuys ein Teil der Wehrmachtsmaschine war. Daran gibt es nichts zu deuteln. Es gelingt den Autoren aber nie, dem Künstler ein völkisch-reaktionäres Denken nach dem Ende des „Dritten Reichs“ handfest nachzuweisen. Für das Gegenteil hätte es Belege gegeben, doch der Indizienprozess stützt sich nicht auf Entlastendes. Und die Indizien sind, wohl weil die Faktenlage so dünn ist, dann auch von der Qualität des S(z)tuka-Beispiels. So wird aus der kanadischen Anglerweste, die zu Beuys‘ Outfit gehörte wie der legendäre Filzhut, bei Gieseke und Markert flugs eine – Fliegerweste.

Es geht auch anders. Eine lesenswerte Publikation in diesem an neuen Texten zu Beuys reichen Jahr ist „Zeige deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys – Eine Spurensuche von Rüdiger Sünner“.  Das Buch ist eine Neuauflage der Fassung von 2015; Text unverändert, Abbildungen verbessert. Die „Spurensuche“ ist weiterhin bemerkenswert in ihrer Empathie und ihrer Sachkunde, mit denen der Künstler Beuys – auch keinesfalls unkritisch – in seinen Äußerungen und Handlungen beschrieben wird. Sünner kann verständlich machen, was anderen immer als Rätsel ominös zu bleiben beliebt; Beuys‘ Verhältnis zu der Lehre von Rudolf Steiner etwa, seine Bezüge zu Novalis und zu deutschen Mythen. Beuys geht mit diesem Material um wie eben ein Künstler: eigen-schöpferisch. Er spielt, so schildert es Sünner, mit Metaphern, betreibt aber keinen Kult des Vergangenen. Beuys sei „eher ein Transformator des Mythischen als dessen Verklärer“. Kritiker, die dem Künstler Befangenheit in einer völkisch-atavistischen Ideologie vorwerfen, haben seine Arbeitsweise und seine Absichten „nicht begriffen“.

Beuys hat wie sehr viele seiner Generation unter der Nazi-Vergangenheit und seiner persönlichen Verstrickung gelitten. Nach einer langen depressiven Phase nach dem Krieg hat er sich mit den Mitteln der Kunst dieser Vergangenheit gestellt und gleichzeitig eine Zukunftsperspektive entwickelt, nicht nur für sich, sondern wie bekannt mit Blick auf die Gesellschaft. Er wollte Künstler sein – aber erklärtermaßen nur in dem Sinn, wie jeder ein Künstler sein könnte.

Sünner schält den optimistischen Kern des Beuysschen Denkens heraus, die Überzeugung, dass Imagination,  Inspiration und Intuition auf den natürlichen Gestaltungs- und Wachstumskräften beruhen, die die Menschheit prägen. Deshalb galt ihm alles in der Welt als Skulptur, als plastischer Prozess. Kreativität, so Sünner, ist da keine Zugabe zum ernsten Leben, „sondern das Fundament unseres Menschseins und der gesamten Evolution“.

(siehe dazu auch: Intuition als Methode bei Joseph Beuys)