450 Millionen Dollar bezahlte ein Bieter bei einer Auktion für einen da Vinci, dessen Echtheit nicht gesichert ist. Es ist der höchste jemals bei einer Versteigerung erzielte Preis für ein Gemälde. Der Erzähler in Rüdiger Kauns Geschichte vom Maler Felsenstein würde sagen: Auf dem Kunstmarkt ist „jede Idiotie“ möglich. Dieser Bewahrer von Gemeinplätzen zum Thema hätte wohl auch bemerkt: Es gibt Sammler und es gibt Anleger, und das sind „meistens Japaner“. Oft ist es so, aber in diesem Fall ist der Anleger Araber, und möglicherweise hat er ein schlechtes Geschäft gemacht. Das Bild „Salvator mundi“ soll sich im Besitz des saudi-arabischen Kronprinzen befinden.
Kuriose, verrückte und auch ärgerliche Geschichten liefert der internationale Kunstmarkt immer wieder. In den Medien sind diese Aufreger mit Unterhaltungswert geschätzt. Wir kürzlich die Überraschung mit dem geschredderten Bild von Banksy: „Die berühmteste Kunstaktion aller Zeiten“ lautet mittlerweile das Urteil. 1,6 Millionen Euro kostete das „Girl with balloon“, das gleich nach dem Zuschlag des Auktionators von einem im Rahmen verborgenen Schredder in Streifen geschnitten wurde.

Auch diese Aktion bedient das Klischee: Irre Summen werden auf dem Kunstmarkt bezahlt, und der Gegenwert ist nicht gesichert. Das ist indes keine ganz neue Entwicklung. Bereits aus dem alten Griechenland um das Jahr Null herum ist es überliefert, dass reiche Sammler hohe Summen bezahlten. Konnten sie berühmte Meisterwerke nicht erstehen, ließen sie Kopien anfertigen. Es ging um den Ruhm des Besitzes, die Ausstattung der Villa. Spekulationen mit Kunst als Wertanlage sind allerdings eine neuere Entwicklung.
Bis in die 1980er Jahre erzielten Wiederverkäufer gute Renditen mit Spitzenwerken der klassischen Moderne, aber auch nur mit diesen. Für viele Spekulanten blieb inflationsbereinigt und möglicherweise nach Abzug von Steuern und Auktionsgebühren kein Gewinn. Die Anlage in Wertpapiere hätte sich besser verzinst. Das änderte sich nach dem „Mauerfall“ 1989. Bald drängte viel neues Geld in den Markt, von Auktionen wurden Rekordpreise gemeldet, nicht mehr nur für Klassiker. Auch mit schnell aufgebauten und im Markt gepushten jungen „Superstars“ ließ sich nun viel Geld verdienen, sogar mit Optionen auf noch nicht gemalte Bilder.
Der Kunstmarkt bildete den weltweit entfesselten Finanzkapitalismus ab. „Durch die zunehmende Konzentration von Kaufkraft in immer weniger Händen und die andauernde Senkung der Leitzinsen strömte in den 2010er Jahren zunehmend Investment-Kapital in die Kunst“ schreibt Kolja Reichert in seinem Buch „Kann ich das auch?“ (S. 132). Die Nachfrage nach hochpreisiger Ware wuchs analog zur Zahl der Milliardäre. Damit sei, so Reichert, der Kunstmarkt aber auch nicht verrückter als die Verteilung der Vermögen, „sondern ziemlich genauso verrückt“.
Mehr Geld, mehr Kunst, mehr Sammler, klingt das nicht gut? Das ökonomische Spitzensegment des globalen Markts mit seinem Jahresumsatz von 65 Milliarden Dollar (2024) wurde und wird allerdings von einer relativ kleinen Zahl von Akteuren gelenkt. Die Hälfte des weltweiten Umsatzes wird von fünf Prozent aller Galerien erzielt. Die anderen Marktsegmente haben bei weitem nicht das ökonomische Gewicht, dafür aber andere Qualitäten. Populäres Unterfutter ist der Amateurkunstmarkt, der hier keine Rolle spielen soll. Der bodenständige Profimarkt wird bespielt von Galerist*innen, die aus Leidenschaft und Überzeugung (junge) Künstler aufbauen und ihren mäßig bis gut betuchten Besuchern Sinn und Werte vermitteln wollen. Oft machen diese Kleinunternehmen keinen nennenswerten Gewinn. Die erfolgreicheren bilden einen Mittelstand, der auch nicht frei von ökonomischem Druck ist. Die Teilnahme an einer internationalen Messe zum Beispiel können sich die meisten nicht leisten. Diesen Akteuren außerhalb der Schlagzeilen allerdings wird zugeschrieben, dass in ihrem Segment „die Zukunft der Kunst verhandelt wird“ (Markus Metz/Georg Seeßlen: „Geld frisst Kunst“, S. 472), sprich: die inhaltlich-kritische Arbeit getan wird. Davon profitieren, ohne Gegenleistung, die großen internationalen Akteure, die Szene der Galerie-Ketten, Auktionshäuser und Großsammler. Dass eine Mittelstandsgalerie die Investition in eine Nachwuchskünstlerin abschreiben muss, weil diese zu einer Spitzengalerie und damit zu höheren Erlösen wechselt, ist eine bekannte Klage.
Inhalte stören das Geschäft
Wer wollte es den Künstlern verdenken, die nun von ihrer Arbeit leben können, deren Werke jetzt in große Ausstellungen und Museen gelangen. Die Gefahr ist, dass der Hype schnell verfliegt oder dass sie von der „Art Industry“ aufgesogen werden, in der Sinn und Form keine Rolle mehr spielen. Denn da geht es nurmehr um Marketing und Kapitalanlage; die Liebhaber-Sammler weichen den Spekulanten. Investoren in Kunstwerke setzen in diesem Segment auf „no-nonsense-discussions“, so der Begriff der New Yorker Firma „Skate’s Art Investment“: Keine Erzählungen zu Bildern und Objekten mehr, keine Debatten um Inhalte und Absichten, sondern handfeste Zahlen, Rankings, Finanzdaten, geliefert von entsprechenden Algorithmen. Wenn das große Geld spricht, verstummt die Kunst.
Was ist dann noch ihr Wert? Es bleibt der Vermögenswert. Damit aber die Millionensummen der Anleger in den Kunstmarkt fließen, braucht es deren Motivation und Zukunftsvertrauen. Vielleicht ist es wie beim Gold: Sein Glanz scheint besonders schön, wenn der Preis steigt. Bezogen auf die Kunst, gibt es folgende aufschlussreiche Anekdote. 1969 wurde der Galerist René Block das Beuys-Objekt „Das Rudel“ zu einem maßvollen Preis auf dem Kölner Kunstmarkt nicht los. In der Koje nebenan war ein Bild von Rauschenberg mit 110.000 DM ausgezeichnet. Block entschloss sich, das „Rudel“ genauso teuer anzubieten. Und schon bald griff ein reicher Sammler zu. Es gibt, wie gesagt, verschiedene Kunstmarkt-Segmente, und sie haben untereinander wenige Berührungspunkte. Auf dem Hochpreismarkt wird nach Preisen gewertet. „Es ist letztlich ein System, in dem auf vulgäre Weise das Geld über Kunst oder Nichtkunst entscheidet“, schrieb der Kritiker Hanno Rauterberg im „Kunstforum“ (Nr. 221, S. 47), „Denn der Unterschied ist nicht im Objekt begründet, sondern in der Marktmacht seines Käufers.“
Die ganz Mächtigen auf dem Basar sind Geschäftsleute wie der Franzose François Pinault. Sein Vermögen wird auf mehr als 40 Milliarden Dollar geschätzt. Er ist nicht nur Sammler aktueller Kunst – 10.000 Werke von 350 Künstler*innen soll er besitzen -, er ist auch Inhaber des Auktionshauses Christie’s und er hat eigene Museen, wie den Palazzo Grassi in Venedig. Für Wechselausstellungen in seinem Haus kann er zehn Mal mehr Mittel einsetzen als die internationale Biennale von Venedig. Es gibt auch andere Beispiele dafür, dass Superreiche die gesamte Wertschöpfungskette des Kunstmarkts besetzen – Kontakte mit Künstlern, eigene Galerien, Museen mit Kunsthistorikern, Fachzeitschriften, Auktionshäuser. Das erlaubt umfangreiche Kontrolle und ermöglicht, Karrieren und Profitentwicklung optimal zu steuern.
Pinault, der heute nicht einmal mehr zu den einflussreichsten Kunstsammlern der Welt gezählt wird, ist im Vergleich zu russischen Oligarchen, arabischen Ölmilliardären und etwa dem Londoner Werbeunternehmer Charles Saatchi bereits Oldschool. Der Franzose interessiert sich offenbar noch dafür, was auf den Bildern zu sehen ist. Es gibt die Geschichte, dass er sich einmal als Handwerker verkleidet in die Räume der Art Basel schmuggelte, bevor die Messe eröffnet wurde. Er wollte die Bilder als Erster sehen, noch vor den anderen VIPs, die zur exklusiven Preview zugelassen werden.
Was auf der Messe gekauft wird, muss anschließend an Wert gewinnen. Die Werke können dazu auf verschiedene Wege geschickt werden. In öffentliche Museen als Leihgaben – das brauchen diese Häuser, weil sie sich die teuren Werke nicht leisten können, und dem Geber bringt es Steuerersparnis und Wertsteigerung; in private Museen, meist als Stiftung – auch das minimiert Steuern; ins Zollfreilager – wiederum steuerbegünstigt, praktisch Geheimmuseum und zollfreier Handelsplatz. Oder ins Auktionshaus, um den Wertzuwachs zu aktualisieren. Alle diese Varianten folgen je speziellen Strategien, um ihre Aufgabe zu erfüllen, Gewinne zu generieren.
Dass bei „spannenden Versteigerungen“ nichts dem Zufall überlassen werden muss, berichten Insider der Szene. Galeristen steigern mitunter ihre Künstler selbst hoch oder bedienen sich Mittelsmännern oder -frauen. Ihren Kunden in der Galerie können sie die Werke dann scheinbar günstiger anbieten. Eine andere gängige Manipulation läuft so: Das Auktionshaus vereinbart mit dem Einlieferer eines Werks ein unteres Preislimit, das zu erzielen ist. Ein potentieller Käufer gibt die Garantie, das Werk zu kaufen, falls das Limit nicht überboten wird. Sollte die Versteigerung mehr ergeben, wird der Garant am Überschussgewinn beteiligt. Auf diese Weise kann die Auktion kein Flop werden. Eine solche Inszenierung war die Versteigerung von Jeff Koons’ Plastik „Balloon Dog“, die zuvor 33,6 Millionen Dollar gekostet hatte und nun 58,4 Millionen erzielte. Vom Werbe-Effekt dieser Nachricht profitierten alle Besitzer von Koons-Werken; auch ihr Bestand stieg dadurch im Wert. Die sensationelle Inszenierung von Banksy zielte in die gleiche Richtung. Die Show verrät – wie immer – nicht alles. Wenn ein Garantiegeber mitsteigert und den Zuschlag erhält, wird der spektakuläre veröffentlichte Preis nicht wirklich bezahlt, weil der Erwerber ja selbst am Gewinn beteiligt ist.
Kunst als Finanzinstrument
Nicht jeder, der teure Kunst kauft, ist am Aufbau einer Sammlung interessiert. Es sind die vermögenden Kunden von Investmentbankern und Hedgefonds-Managern, die dem Rat folgen, bei der „Diversifizierung des Portfolios“ auf Kunst als „Asset“ neben Immobilien, Rohstoffen und Staatsanleihen zu setzen, um Inflation und Währungsschwankungen zu entgehen. Auch Erbschaftssteuer lässt sich so vermeiden: Wer Kunst 20 Jahre im Besitz hält und 10 Jahre einem Museum leiht, vererbt sie steuerfrei. Kein Aktiendepot kann das leisten.
Händler bündeln aktuelle Arbeiten verschiedener Maler zu Stilgruppen mit griffigen Markennamen („Transavantguardia“ etc.). Die Assets warten dann in Kisten verpackt darauf, mit Gewinn wieder verkauft zu werden. Pensionskassen übrigens haben auch in Kunst investiert. Wenn der Kunstmarkt schwächelt, ist die Pension gefährdet… Doch der Optimismus überwiegt: Die „Volatilität“ dieses „Finanzinstruments“ war über Jahrzehnte gering, sagen die Berater und meinen damit, dass die Kurs-Schwankungsbreite der Kunstvermögen ungleich geringer ausfiel, als die von Tech-Aktien oder Kryptowährungen. Nein, die Anleger sollen sich wohlfühlen, denn (so die Werbung von der-mindestlohn-kommt.de): „Die Verbindung von Ästhetik und Kapital birgt enormes Potenzial. Während klassische Anleger bei Marktschwankungen nervös auf die Kursanzeigen starren, genießen Kunstinvestoren einen echten Mehrwert – kulturell, emotional und wirtschaftlich. Kunst beruhigt. Kunst inspiriert. Und: Kunst schützt.“ Stecken darin nicht ein, zwei Romane von Balzac?
Das schöne Wort „Freilager“ steht für die Befreiung von Zollgebühren, von Umsatzsteuer und derlei Zumutungen. Auch Rechtsstreitigkeiten wie Restitutionsverfahren im Fall von Raubkunst entgeht man hier leichter. Beruhigt und ohne nervös zu starren kann der genießende Nutznießer sein Geheimmuseum in Genf, Luxemburg, Monaco, Singapur oder wo immer aufsuchen, wenn er denn möchte. Die Kunst lagert dort neben Oldtimern, Weinen oder Gold, dient als Sicherheit für Kredite und kann ohne Transport, Zoll und Steuern gehandelt werden. Auch Auktionshäuser mieten sich in Zollfreilagern ein. Nach einer Versteigerung wandern die Objekte einfach über den Gang in ein anderes Depot. Halb Bunker, halb Galerie, sind diese „Offshore- oder exterritorialen Museen“ mit die wichtigsten Räume der zeitgenössischen Kunst, schreibt Hito Steyerl in ihrem Buch „Duty Free Art“: ein „Luxus-Niemandsland“. Sie zitiert auch einen nicht genannten Insider, der es als „enormen Vorteil“ betrachtet, dass die gebunkerte „minderwertige Markt-Kunst“ nicht öffentlich zu sehen ist. Sie hege große Sympathie für diesen Standpunkt (S. 231).
Wie können diese Luxus-Exklaven rechtlich bestehen? Kein Problem, sie sind von den jeweiligen Staaten so eingerichtet und geschützt. In Genf zum Beispiel gehört die Zollfreilager-Aktiengesellschaft zu 86 Prozent dem Kanton. Dort lagern laut Wikipedia 1,2 Millionen Kunstwerke, und die Geschäftsführerin ist sinnigerweise Kunsthistorikerin und Juristin. Es gibt viele weitere Freilager in der Schweiz, und sie werden im Land auch kritisch gesehen. Die Schweizer Rechtsanwältin Monika Roth erinnerte in einem Rundfunk-Interview daran, dass viele Spuren aus den 2016 enthüllten „Panama Papers“ zu versteckten Kunstsammlungen und illegal gehorteten Kulturgütern in diesen Freilagern führten. Und oft habe das mit Geldwäsche zu tun. Seit 2020 hat die EU daher die Verpflichtungen zur Geldwäscheprävention auf dem Kunstmarkt verschärft. Händler müssen ihre Kunden identifizieren. Das US-Finanzministerium schlug im vorigen Jahr Alarm, als die Beamten mitbekamen, dass ein libanesischer Kunstsammler mit Bilder-Verkäufen in dreistelliger Millionenhöhe die US-Sanktionen umging, um die Hisbollah zu unterstützen. Ein Gesetz speziell gegen Geldwäsche auf dem Kunstmarkt wird seit Juli im US-Kongress beraten.
Weit entfernt also von „interesslosem Wohlgefallen“ werden Kunstdinge gebraucht und missbraucht für alle möglichen Zwecke. Ist es so, wie Metz und Seeßlen in „Geld frisst Kunst“ (S.84) schreiben, dass „der absurde Reichtum der oberen 0,1 % die Kunst auf(frisst), die keine Chance mehr hat, sich in die Gesellschaft hinein zu entwickeln“? Für das Marktsegment der hochpreisigen Assets habe ich das beschrieben, für die anderen gilt es nicht. Wir als Betrachter bekommen von der stummen, weggesperrten Kunst wenn überhaupt nur den medialen Abglanz zu sehen, den kurzen Moment, in dem ein Spitzenwerk durch den Spitzenpreis aufblitzt. Und wir erleben dabei den Widerschein einer sozialen Schieflage. Aber diese Sphäre kommt am Ende nicht ohne die „unteren Etagen“ des Marktes aus. Die, die sich nicht für die Kultur, für die Inhalte interessieren, wollen trotzdem bei dieser Art Kapitalanlage das kulturelle Image zumindest als Nebeneffekt mitnehmen – siehe „Mehrwert“. Und dazu braucht es die Künstler*innen, Galerist*innen und anderen Vermittler*innen, die die Sinndiskussionen führen. In den Akademien, Ateliers, Kunstvereinen und an ihren vielen anderen Plätzen „spricht“ die Kunst. Oft aus ökonomisch prekärer Lage, aber sichtbar und lebendig.
Über "Geschichten vom Kunstmarkt" diskutiert die offene Gesprächsrunde bei "Kunst & Brot" in der Stadtbibliothek Siegburg (Griesgasse) am Donnerstag, 13. November, ab 18 Uhr.