Lebensnotwendig, ein Instrument sowohl der Wahrnehmung wie der Gestaltung. Für das innere Bild, das geistige, gibt es viele Synonyme: Einbildung, Vorstellung, Fantasie, Traum, Halluzination – unter anderen. Es macht keinen Sinn, allein bewusste Imaginationen, etwa künstlerische Strategien der Bildvorstellung zu behandeln, denn diese sind ohne die unbewussten alltäglichen Wahrnehmungs- und damit Imaginationsfähigkeiten nicht zu haben.
Der Begriff inneres Bild verführt dazu, nur den visuellen Sinn zu beachten. Dabei lassen sich Geruchssinn, Tastsinn und andere, auch Synästhesien aus der Wahrnehmung normalerweise nicht ausschalten. Sinne wirken zusammen beim Entstehen mentaler Bilder, was das Gehirn und andere möglicherweise beteiligte Körperregionen nicht beobachten können. Empirisch vorgehende Forscher haben ermittelt, dass an der „Manipulation“ von Imaginationen nicht allein der visuelle Kortex, sondern auch mehrere andere Hirn-Areale beteiligt sind. Und dass nicht nur das Gehirn betroffen ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass aus motorischen Aktionen, verbunden mit mehr oder weniger spezifischen Erwartungen, Imaginationen entstehen, was insbesondere in frühen biologischen Entwicklungsstadien eine Rolle spielt. Der Fokus auf der visuellen Wahrnehmung, schon in der Begrifflichkeit „Bild“, entspricht also kulturellen Gepflogenheiten, der Bevorzugung des Visuellen, trifft aber die realen Prozesse nicht genau.
Sinneseindrücke werden mit gespeicherten Erfahrungen abgeglichen und mit Antizipationen verbunden, um eine Situation zu erfassen. Besteht Gefahr? Oder Aussicht auf Nahrung? Solche Imaginations-Motivationen stammen aus der Frühzeit menschlicher Entwicklung und unterscheiden uns auch heute nicht von den Tieren. Welche erstaunlichen Imaginationsfähigkeiten zum Beispiel Delfine oder Schimpansen haben, ist mittlerweile gut erforscht.
Wiederholte Erfahrungen durch Einwirkung von außen, negative wie positive, dazu auch innere Bilder, die zu Erfolgen führten, verankern sich im Langzeitgedächtnis, das sich aus individuellen wie kollektiven Quellen speist. Diese Erinnerungsbilder fliessen in ein System von metaphorischen Konzepten, die Wirklichkeit interpretierbar machen. Metapher heißt Sprachbild, doch auch hier ist die Begrifflichkeit unscharf, denn diese Konzepte entstehen der Kognitionswissenschaft zufolge bereits vor der individuellen Sprachentwicklung. Man geht von zwei verbundenen Systemen im Gehirn aus: Das eine speichert verbale, das andere nonverbale Informationen. Wobei die bildhaften Daten besser verstanden und gespeichert werden können.
Diese inneren Bilder und Bildkonstruktionen werden automatisch abgerufen, wenn ein passender Trigger auftaucht. Und sie können bewusst hervorgerufen werden. Das hat praktischen Nutzen: Im Licht vorstellbarer Alternativen können Probleme besser gelöst werden. Orientierung im Hier und Jetzt und Vorausschau wirken imaginativ zusammen.
Schlafträume und Tagträume sind weitere Imaginationsphänomene mit eigener Struktur. Halluzinationen, eher unerwünscht und sicher nicht lebensnotwendig, deuten auf Behandlungsbedarf hin. Aktive Imagination ist in der Medizin aber auch eine Technik, in der psychosomatischen Therapie zum Beispiel.
Die aktive Neuproduktion von inneren Bildern, und damit kommen wir in den vornehmen Bereich menschlicher Fantasie und Kreativität, eröffnet natürlich weitere Möglichkeiten über das praktische Verhalten in der Welt hinaus. „Methodische Imagination“ habe ich die künstlerischen Strategien genannt, die den Werkprozess ermöglichen (https://artigart.de/methodische-imagination/). Sie verbinden das implizite, im Körpergedächtnis gespeicherte Wissen und die Möglichkeiten der Neuschöpfung auf besondere Weise.