Kunst im Exil

Montage: artigart.de

Die Kunstgeschichte des Exils im 21. Jahrhundert ist noch nicht geschrieben. Das Thema ist aktuell und im Fluss, es betrifft bedauerlicherweise viele Künstler aller Sparten aus den zahlreichen Kriegs- und Krisengebieten der Gegenwart. Hier geht es um den Versuch, so fragmentarisch wie exemplarisch einige Informationen zu Bildenden Künstlern zu bündeln und damit vorläufige Einblicke in das Geschehen zu gewinnen.

Farkhondeh Shahroudi floh 1990 aus politischen Gründen aus dem Iran, studierte in Dortmund und lebt heute in Berlin „im deutschen Exil.“ Ihre Arbeiten thematisieren die Erfahrungen von Verfolgung, Flucht und Exil. Sie zieht dabei auch Verbindungen zur deutschen Geschichte, zum Exil deutscher Künstler im Dritten Reich. „max beckmann war nicht hier“ ist eine ihrer typischen Arbeiten, die formal die textile Kunsttradition ihrer Heimat und westliche Konzeptkunst verbinden. 2017 war Shahroudi Stipendiatin der Villa Romana in Florenz und stieß bei Recherchen darauf, dass auch der Maler Max Beckmann dort gearbeitet hatte, der 1937 vor den Nazis flüchten musste. In einer imaginären Brieffreundschaft mit ihrem „Doppelgänger“ reflektierte Shahroudi die gemeinsame Exil-Erfahrung, dazu entstanden Zeichnungen und 2019 das Samtbanner mit einem Zitat aus ihren Texten: „max beckmann war nicht hier“.

Für die Abwesenheit vom eigentlich gewünschten Lebensort und die Anwesenheit an einem zunächst als provisorisch verstandenen Fluchtort ist der mit persischen Teppichen ummantelte Wohnwagen die Metapher: In dem Werk „ich habe knast“ verband die Künstlerin 2023 die Installation, zu der auch eine Text-Fahne gehört, mit einer Performance und einer Suppenküche. Die traditionellen Teppiche mit ihrer ornamentalen Verbildlichung des Paradieses als Garten kommen in vielen Shahroudi-Werken vor, ebenso wie die Fahnen, die an die Revolution in ihrer Heimat erinnern.

Die Künstlerin wehrt sich dagegen, dass die Wurzeln gekappt werden. 2024 zeigte sie in einer Skulpturenausstellung unter anderem ihre „Seed bomb“, die überdimensionierte „Samenbombe“, eine Kugel aus Teppichen, die der Hoffnung Ausdruck zu geben scheint, neue Wurzeln schlagen zu können, die mit den alten zusammenwachsen.

Rawan Almukhtar, 1991 geboren in Bagdad, studierte dort an der Universität der Bildenden Künste Malerei und beschäftigte sich im Irak unter anderem mit dem Thema konfessioneller Gewalt. Er bezeichnet sich als queer und politischen Aktivisten. Aufgrund der daraus entstehenden bedrohlichen Konflikte verließ er sein Land und lebt heute in Wien.

„Die Grundlage meiner Arbeit liegt in den Erfahrungen meines eigenen Körpers, zu denen die erzwungene Migration, auferlegte Geschlechterrollen und das Zeugnis verschiedener Kriegs- und Besatzungszyklen gehören. Ich beobachte und dokumentiere Verletzlichkeiten, kollektiven Widerstand und soziale Bewegungen.“

Auch im Exil bewegt er sich zwischen Kunst und Aktivismus. Und so zeigt er in seinen Bildern Menschen in Aktion. „Dukhania“ ist der Titel einer großformatigen Kohlezeichnung (4,5 mal 1,5 Meter) von 2020. Das Motiv geht zurück auf die irakische Revolution im Oktober 2019. Den Aufstand, von der Regierung gewaltsam beendet, betrachtet Almukhtar als Zäsur für sein Werk, das seitdem thematisch geprägt ist von Gewalt und Flucht. „Leaving“ (Öl auf Leinwand, 2 mal 1,2 Meter) entstand 2024. In einem Stil, der Techniken des Fotorealismus für eine vielschichtige fluide Figuration nutzt, versucht der Künstler die Auflösung von Grenzen, sowohl der geografischen wie der körperlichen und mentalen zu schildern.

Ai Weiwei ist sicher der prominenteste Exilkünstler der Gegenwart. Jahrelang machte der chinesische Dissident auch außerhalb der Kunstwelt Schlagzeilen. Wegen seiner offenen Kritik am Regime der KPC wurde er 2011 für 81 Tage inhaftiert, danach in Peking unter einen streng überwachten Hausarrest gestellt. Zu seiner großen Ausstellung „Evidence“ (Beweise) in Berlin 2014 durfte er nicht reisen. Erst 2015 gaben ihm die Behörden seinen Paß zurück und er ging nach Berlin ins Exil.

„Beweise“ hatte Ai gezeigt für die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und anderer Menschenrechte in seiner Heimat. Darunter die „Überwachungskamera“ aus Marmor, eine formgenaue Nachbildung des Modells, von dem die chinesische Polizei 17 Exemplare um sein Haus herum installiert hatte. Als Konzeptkünstler und Bildhauer greift Ai immer wieder Gegenstände und Kontexte auf, mit denen er politische und kulturpolitische Aussagen visualisieren kann. „Die größte Schwierigkeit der Gegenwartskunst besteht darin, für diese komplexe Welt bedeutsame Bilder zu finden“, sagte er 2017 in einem Interview.

Die Sprache der westlichen Konzeptkunst hatte er in jungen Jahren bei einem Aufenthalt in New York gelernt, und andererseits bezieht er sich oft auf chinesische Traditionen. Wenn er Handschellen aus Jade herstellt, ist das eine ironische Konfrontation von gegenwärtiger Brutalität mit konfuzianischen Werten wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Weisheit, die der Jadestein symbolisiert. Auf bildrhetorisch ähnliche Weise funktioniert seine in traditioneller Herstellung geformte Vase mit dem Coca-Cola-Schriftzug.

Wenn die Objekte weniger hintersinnig, also plakativer ausfielen – wie Installationen mit orangefarbenen Rettungswesten oder das überdimensionierte Schlauchboot mit 60 schwarzen Figuren – blieb Kritik nicht aus: „Vordergründiger Aktivismus“, „Kunsthandwerk“ und „Marketing“, mit solchen Wertungen musste sich Ai in Deutschland auseinandersetzen. Der streitbare Künstler konterte heftig. Die deutsche Gesellschaft akzeptiere „nicht wirklich andere Ideen und Argumente“ als ihre eigenen, es gebe „kaum Raum für offene Debatten“, bekundete er 2019, bevor er Deutschland in Richtung England verließ. 2021 wählte er Portugal als Land seines Exils.

2023 wurden geplante Ausstellungen in London, New York, Berlin und Paris abgesagt, weil Ai die Unterstützung Israels kritisierte und sich auf die Seite der Palästinenser stellte. Der Künstler beklagte, man könne auch im Westen, wie in China, nicht über die Wahrheit sprechen.

Iryna Yakovlieva flüchtete 2022 aus Mykolajiv vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, zunächst innerhalb des Landes, dann weiter nach Deutschland. Sie lebt und arbeitet in Nienburg an der Weser. In ihrer Heimat wurde sie an einer Kunstakademie ausgebildet; man findet traditionelle Blumenmotive von ihr im Internet. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ukrainische Künstler*innen wie auch Musiker*innen an konventionellen Formen (des 19. Jahrhunderts) orientiert sind. Bei Yakovlieva bedeutete die Flucht auch einen stilistischen Bruch.

Ihr erstes Bild in Deutschland entstand im Juni 2022 und thematisiert das Trauma des Krieges: Die farbige Zeichnung „Der Schrei der Seele“ zeigt eine junge Frau, den Mund zum Schrei geöffnet, mit einem blutrot und feuergelb lodernden Körper, dem schwarze Vögel zu entweichen scheinen. Das statisch Dekorative des Stilllebens hat einem plakativen Expressionismus Platz gemacht.

Kateryna Lysovenko, Jahrgang 1989, stammt aus Odessa und lebt mit ihren beiden Kindern im Exil in Österreich. Die Malerin, deren Werke zurzeit der Kunstverein Hannover zeigt, hat in Odessa und Kiew studiert. Ihre früheren Arbeiten waren noch beeinflusst von der Tradition des Sozialistischen Realismus. Dessen Bildsprache – die in helles Licht gerückten Alltagshelden mit ihren klaren Konturen und dominanten Gesten – stellte Lysovenko bereits in der Ukraine infrage. Bilder von Opfern der gesellschaftlichen Konflikte traten an die Stelle der ideologischen Figuren.

Im Zuge des Kriegs hat sich diese Tendenz, der neue Stil verstärkt. Die Formen der Gegenstände werden weicher, zerfließen ins Unklare. Die oft schemenhaften Figuren sind Tote oder versehrte Überlebende der russischen Gewalt. „A Boy with Gun“ von 2022 zeigt einen anderen „Helden“: Ein wie ratlos dastehendes Kind mit Helm und Spielgewehr, dessen Gesichtsausdruck auf Trauer oder Traumatisierung schließen lässt.

Khaled Barakeh aus Damaskus (Jahrgang 1976) floh 2010 aus Syrien und lebt heute in Berlin. Sehr konsequent und künstlerisch elaboriert setzt er sich mit den Themen Krieg und Exil auseinander. Der Konzeptkünstler und Kulturaktivist sieht „Kunst als Prozess, Kunst als Engagement“. Er ist maßgeblich an verschiedenen Initiativen in Berlin beteiligt, darunter „Coculture“, ein Projekt, das Künstler im Exil unterstützt.

Wie zeigt man Bürgerkrieg und Folter in Syrien, ohne die Opfer einem möglichen Voyeurismus auszuliefern? Barakeh hat 2014 Fotos von Trauernden, die tote Angehörige in ihren Armen halten, als Motive genommen, die Körper der Leichen allerdings ausgeschnitten. Die weißen Flächen wirken vielleicht noch intensiver und verstörender, als die ursprünglichen Ansichten. Ähnlich wie in dieser Serie „Untitled Images“ ist die Strategie der Verweigerung in der Arbeit von 2018 „Relentless Images“ (Unerbittliche Bilder): Digitale Fotos von Folteropfern werden durch die Metadaten der Bilder in kleinen Rahmen repräsentiert. Die wie provisorisch installierten Klebestreifen mit den Angaben sind ein besonderer Appell an die Vorstellungskraft.

„I Haven’t Slept for Centuries“ (2018) handelt von Flucht, Grenzkontrollen und Zurückweisung. Visa- und Checkpoint-Stempel, dazu die Bewegungslinien des Künstlers zwischen verschiedenen Ländern, all das zu einem grafischen Cluster verdichtet, ergibt ein vermeintlich abstrakt-informelles Gebilde, das sich nur geduldiger Aufmerksamkeit erschließt und sich dann als Bildmetapher einer Odyssee entpuppt.

Wenn im Exil eine neue Identität entsteht, dann verbindet diese oft Elemente der Herkunft mit Einflüssen des neuen Lebensumfelds – wie besonders bei Shahroudi deutlich wurde. Barakeh hat das deutsche Grundgesetz in arabische Kalligrafie übersetzt auf Blätter geschrieben, im Stil islamischer Buchmalerei umrahmt und ornamental geschmückt.

Über das Thema „Kunst im Exil“ diskutiert die offene Gesprächsrunde „Kunst & Brot“ am Donnerstag, 13. März, in der Stadtbibliothek Siegburg, Griesgasse. Beginn 18 Uhr.