Im Titel der Diskussionsreihe „Kunst & Brot“ in der Siegburger Stadtbibliothek steht das „Brot“ konkret für die materielle Existenzgrundlage wie bildlich für die geistige Nahrung. Die Kunst soll in keiner Hinsicht brotlos sein. Das Thema hat Künstler*innen durch die Jahrhunderte immer wieder fasziniert und angeregt. Wenn man sich anschaut, was sie da alles mit Nahrungsmitteln angestellt haben, darf man staunen. Ob sich auch Appetit oder gar Ekel einstellt, hängt wie üblich auch vom Geschmack des Betrachters ab.
Stillleben mit Früchten, Jagdstrecken oder kompletten Vorratskammern sind seit der Antike bekannt und beliebte Motive. Nahrungsmittel tauchen in Bildern in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Bedeutungen auf. Im 20. Jahrhundert benutzten immer mehr Künstler*innen Lebensmittel aber nicht mehr nur als Motiv, sondern auch als Material für ihre Werke. So Marcel Duchamp in den 1930er Jahren, als er in einem surrealistischen Environment Kaffeebohnen röstete, um eine Duftnote zu setzen. Es trifft aber nicht zu, dass künstlerische Zweckverfremdung von Lebensmitteln erst in der Moderne erfunden wurde. Der Künstlerbiograf Giorgio Vasari schilderte im 16. Jahrhundert Feste, bei denen die teilnehmenden Maler und Bildhauer sich überboten mit Objekten, die anschließend gegessen wurden: Architekturen aus Würsten und Käse, Figuren aus Geflügel, Bücher aus Lasagne – ein Gang kurioser als der andere.
Solche Vorbilder werden lebendig, wenn man zum Beispiel Videos von Sonja Alhäusers Performances und Publikumsevents anschaut: Der Mann, der langsam in ein Bad von geschmolzener Schokolade taucht und braunglänzend überzogen und triefend wieder auftaucht, hätte in ein Renaissance-Künstlerfest ebenso gepasst wie der figürliche Brunnen aus Margarine, aus dem Rotwein fließt.
Als Spielmaterial in einer Performance werden Lebensmittel hin und wieder verwendet, vor allem sind sie heute aber nach wie vor Bildmotiv und Gestaltungsmaterial. Aus dem großen Vorrat sollen hier einige Appetithappen gereicht werden.
Nahrungsmittel als Motiv: Auch in diesem tradierten Genre hat die Fotografie als Technik an Bedeutung gewonnen. Die Inszenierungen sind oft sehr witzig, offenbar beflügelt gerade das Alltagsmaterial den Humor. Anna Blumes Kampf mit den fliegenden Kartoffeln in der Kleinbürgerküche sind ein Klassiker. Politische Satire gestalteten Siglinde Kallnbach mit verschimmelten Würstchen und Klaus Staeck mit einer angefaulten Birne. Ute Bartel fotografierte Wurstscheiben und montierte sie zu Ornamenten.
Petra Weifenbachs Konzept schafft die Verbindung von der Kategorie Bildmotiv zur Kategorie Bildmaterial: Aus ihren Fotos von Geflügel, Tortenstücken und anderen Leckerbissen baut sie papierene Braten oder Kuchen – ein Dreierschritt vom Lebensmittel über das Bild zum Objekt.
Das Thema Nahrungsmittel als Material hat wie geschildert auch eine lange Vorgeschichte. Seit die Futuristen „Flugzeugrümpfe“ aus Kalbfleisch verspeisten, hat sich das Essen mit Publikum als Kunstevent gehalten. Alison Knowles Auftritt mit „Make a Salad“ von 1964 war wohl die erste Salatzubereitung als Fluxus-Performance. „Eat Art“ praktizierte nicht nur Sonja Alhäuser, als Erfinder dieser Variante gilt Daniel Spoerri, der nach den Events mit Gästen die abgegessenen Tafeln zu „Fallenbildern“ machte. Alles, was noch auf dem Tisch war, wurde fixiert und als Tafelbild an die Wand gebracht. Das gemeinsame Kochen und Essen steht auch im Mittelpunkt der Kunst von Rirkrit Tiravanija. Bei all diesen und ähnlichen lukullischen Aktionen ist der Übergang zum normalen Restauranterlebnis oder der privaten Feier fließend. Kochkunst eben.
Das Material künstlerisch zu verwenden, heißt es verwandeln: Ute Bartel präsentiert Kartoffelschalen als Liniengebilde, Ilse Wegmann Objekte und Rauminstallationen mit Mehl oder Zuckerwürfeln, und sie verwendet nicht zuletzt das hier titelgebende Brot. Wenn auf einem Bild von Dieter Roth die Sonne untergeht, ist es eine fette Scheibe Salami, ziemlich vergammelt. Und seine Objekte aus Schokolade sehen auch nicht mehr appetitlich aus. Bei Roth geht es immer um den Prozess – des Verwesens in diesem Fall. Im Werk von Joseph Beuys sind Lebensmittel wie Honig, Fett oder die „1a gebratene Fischgräte“ symbolhafte Details aus seinem umfassenden Verweisungszusammenhang, in dem körperliche und geistige Nahrung eng verbunden sind.
Abschließend tut ein Schnaps, gereicht von Ben Vautier, sicher gut: „Drink to forget art“ ist sein Text zur Flasche – was an ein weiteres Motiv in der Kunst gemahnt. In Karel van Manders Lebensbeschreibungen niederländischer und deutscher Künstler erscheint der Alkohol außer als darstellbarer Gegenstand auch als Stimulans der Maler, sowie als ihre ernsthafte Gefährdung nach dem Motto „hoe schilder hoe wilder“.
Als roter Faden in dieser Geschichte heterogener Elemente zeigt sich der enge Zusammenhang von Ästhetik und Nahrung. Der bildliche Sprachgebrauch von „geistiger Nahrung“, von sinnlichen Eindrücken, die man „verdauen“ muss, von Kreativität als Prozess des Stoffwechsels lässt sich über Jahrhunderte zurück verfolgen und endet nicht mit dem Künstler-Statement „Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“ (Beuys). Wenn Kunstwerke tatsächlich oder im übertragenen Sinn verspeist werden gilt die Erkenntnis: Kunst ist Brot.
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