Etwas Schönes zu sehen oder sich vorzustellen, das bedeutet gleichzeitig eine „Kraftersparnis des Denkens“. Davon war Georg Simmel überzeugt. Der Philosoph und Soziologe veröffentlichte 1896 seinen Text zur „soziologischen Ästhetik“, in dem er die Anziehungskraft des Schönen auch so beschrieb: „das Abrollen einer maximalen Anzahl von Vorstellungen mit einem Minimum von Anstrengungen“.
Anstrengend dagegen das Chaotische, Hässliche, Unsymmetrische. Wahre Kraftvergeudung. Ist die Schöne Kunst daher etwas fürs Gemüt der Gemütlichen? Für Denkfaule gar? Kuriose Thesen. Sie erinnern mich an Lu Märtens Aussage in ihrem Buch „Die Künstlerin“, „freie Arbeit, Denken, Assoziieren, Schauen“ erfordere „äußere Faulheit“ (siehe Lob der Faulheit in diesem Blog). Wohlgemerkt äußere, was bei Märten die Befreiung von der Fron der Erwerbsarbeit bedeutete, die Gelegenheit zur Muße, die wiederum als eine durchaus tätige gedacht war.
Als faule Künstler galten seinerzeit einigen Kommentatoren Yoko Ono und John Lennon, die sich für Kunstperformances einfach ins Bett legten. Ihre Bed-Ins in Amsterdam und Montreal waren friedliche Aktionen gegen den Vietnam-Krieg. Der Publicity-Erfolg zeigte, dass die Verweigerung von Betriebsamkeit und Leistung als Skandal funktionierte.
Faulheit als Programm irritiert. Geht es aber nicht eher um die zitierte Muße? Produktive Zeit für die Kunst ist Freiheit, aber keine Freizeit. Den Wert der Muße haben natürlich auch die Profiteure längst erkannt und begonnen, ein Geschäft daraus zu machen. Selbstoptimierung, Fitmachen für den Job – das verwertet die Muße, und schon mit der Ratgeberliteratur dazu lässt sich Geld verdienen. Nix mit Freiheit.
Was also soll der Künstler, der weder fremd bestimmt noch faul sein will, dazu sagen? Joseph Beuys ernährte sich ja bekanntlich durch Kraftvergeudung, wie er verkündete. „Müßiggang“ ist auch ein interessanter Begriff an dieser Stelle. Es steckt Muße darin, aber auch Bewegung. Eine aktuelle Ausstellung in der Withechapel Gallery zu London, Titel „A Century of The Artist’s Studio“, beschäftigt sich mit dem Atelier als Ort der Kunstproduktion, und einem Pressebericht zufolge geht es dabei auch um „Müßiggang“, um das Atelier als Spielfeld für Blödsinn und Schabernack.
Was dabei herauskommt, muss nicht schön sein. Doch dem „Abrollen einer maximalen Anzahl von Vorstellungen mit einem Minimum von Anstrengungen“ kommt es sicher sehr nahe.