Superheldinnen

Sie waren in ihrer Arbeit mindestens so gut wie Männer, brauchten aber mehr Mut, mehr Kraft und mehr Geduld als diese: Künstlerinnen hatten es in der Vergangenheit in der männlich dominierten Kunstwelt bekanntermaßen schwer. Für ihre höheren Anstrengungen wurden sie schlechter bezahlt und mussten sich noch dumme Sprüche anhören. Da gibt es einige Überlieferungen bis in die heutige Zeit. Ein treffendes Beispiel erzählt die Künstlerin Carola Willbrand aus dem Leben der Kölner Malerin Käthe Schmitz-Imhoff (1893 – 1985): „So viele talentvolle Leute laufen auf der Straße herum, und dann wird so ein Frauenzimmer aufgenommen!“, schimpfte Professor Spatz, als Schmitz-Imhoff in den 1920er Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie zum Studium antrat. Und damit begannen erst die Schikanen.

Doch es hat sich geändert, es bessert sich. Stellten 1882 die Künstlerinnen nur 5,6 Prozent aller Kunstschaffenden, waren es 1925 immerhin 18,9 Prozent – und heute sind es stolze 60 Prozent. Aber das Ziel der Geschlechter-Gerechtigkeit ist noch nicht erreicht, klagt zum Beispiel der Deutsche Kulturrat: Künstlerinnen verdienten Stand 2017 „erschreckende 24 Prozent“ weniger als Künstler. Und nur ein Drittel der von den Bundesländern erworbenen Werke war von Frauen geschaffen, Stand 2000. In der Neuen Nationalgalerie in Berlin sind nach der Wiedereröffnung im April 2021 von 132 mit Werken vertretenen Kunstproduzenten 22 Frauen, berichtet das Aktionsbündnis „fair share“. Mit 35 von insgesamt 250 gezeigten Arbeiten haben Frauen hier einen Anteil von mageren 14 Prozent.

Soweit einige Schlaglichter auf die soziale Lage. Dass Künstlerinnen heute viel sichtbarer, viel erfolgreicher sind als noch vor wenigen Jahrzehnten, liegt entscheidend an der starken Haltung der Frauen, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts allen Widerständen zum Trotz den Weg zum und durchs Künstlerinnen-Dasein geebnet haben. Carola Willbrand beschreibt solche Wege, schildert Pionierinnen der Kunst des 20.  Jahrhunderts in ihrem sehr persönlichen Buch mit dem Titel „Alle meine Künstlerinnen sind Superheldinnen“. Das vor kurzem erschienene schön gestaltete Werk mit ihrem Text zu Begegnungen mit 30 Frauen, die für ihre eigene Künstlerinnen-Biografie jeweils eine große Rolle spielen, entält auch frei aufgefasste Porträt-Zeichnungen Willbrands von vielen der Protagonistinnen.

Für Carola Willbrand begann der Kontakt zur Kunst mit ihrer Tante Käthe, eben der erwähnten Künstlerin Schmitz-Imhoff. Sie und ihre Bilder waren in der Kindheit präsent, sogar in Carolas Kinderzimmer: ein Gruselbild. Die Schwester ihres Vaters gehörte zu der Malerinnen-Generation, die sich in einer Zeit durchgesetzt hat, in der das noch die absolute Ausnahme war. Sie schlug den schwierigen Künstlerinnenweg ein und machte ihn damit auch für andere begehbar.

Käthe Schmitz-Imhoff war Vorbild, aber hat ihre Nichte nicht direkt unterstützt in ihrem eigenen Bemühen, Künstlerin zu werden. Bei gemeinsamen Atelier-Besuchen jedoch konnte Carola beeindruckende Künstlerinnen-Persönlichkeiten kennenlernen. So hatte sie die Chance, von Fifi Kreutzer (1891 – 1977) zu erfahren, dass Lernen und Ausprobieren der Beginn aller Kunst ist. Von Grete Schlegel (1897 – 1987) berichtet sie die Einsicht, dass man auch das an der Akademie Gelernte später als Ballast wieder abwerfen muss, um seinen eigenen künstlerischen Weg zu gehen. Marta Hegemann (1894 – 1970), Irmgart Wessel-Zumloh (1907 – 1980) und viele weitere Künstlerinnen treten auf und werden zu Superheldinnen – weil sie „ein anderes Leben verkörpert“ und zudem die Schrecken von Nazi- und Kriegszeit „mit ihrer Kunst überlebt“ haben, so Willbrand.

Die vielen Atelier-Kontakte in jungen Jahren waren prägend und nicht genug. Als junge Frau flog Carola Willbrand in die USA und nahm dort Kontakt zu Künstlerinnen auf. So lernte sie in New York Louise Bourgeois kennen, von der sie sich gegängelt fühlte, und Georgia O’Keeffe, mit der sie zwar kaum sprach, die sie aber auf der Ghost Ranch bei der Arbeit beobachten konnte. Manchmal teilt sich ganz Wichtiges nonverbal mit: „Dieser Anblick traf mich bis in die Eingeweide“, schreibt Willbrand, „diese Ausschließlichkeit Georgia O’Keeffe’s Künstlerinnen-Sein begleitet mich bis heute, weckte ein Vertrauen auf die eigene Kraft.“

Die beeindruckenden Begegnungen in ihrer Kindheit und Jugend „waren meine Ausbildung“. Zurück in Köln beginnt dann so richtig das Künstlerinnen-Leben und der Werkprozess von Carola Willbrand. Und so wie ihre Schilderung der Zeit mit Tante Käthe ein Stück rheinische Kunstgeschichte schreibt, ist das Folgende ein zentraler Teil Kölner Kunstgeschichte seit dem Ende der siebziger Jahre. Wichtige Künstlerkolleginnen für sie in der Zeit waren vor allem Krimhild Becker (1940 – 2010) und Marianne Tralau, zu der sie noch heute Kontakt hat.

„Superheldinnen“, je nachdem wie man das hört, kann es nach Comic klingen oder hochtrabend. Beides trifft es nicht. Carola Willbrand gelingt es, authentisch zu beschreiben (und eindrucksvoll zu bebildern), warum „ihre“ Künstlerinnen das Etikett verdient haben.

http://carolawillbrand.de