In Raum 79 des Prado-Museums in Madrid klafft ein Lücke: Dort, wo bislang das Bild „Saturn verschlingt seinen Sohn“ von Peter Paul Rubens hing, ist die Wand plötzlich leer. „Wir können und wollen nicht hinnehmen, dass unter dem Deckmantel der Kunst derart groteske und verstörende Darstellungen öffentlich gezeigt werden“, hatte ein CDU-Politiker aus dem südlichen Niedersachsen über „kannibalistische Fantasien“ geschimpft. Er rief zum Boykott der Ausstellung auf, und schon bald gab es in den asozialen Netzwerken Morddrohungen gegen den Künstler.
Diese Geschichte ist, was Rubens angeht, erfunden und natürlich Unsinn, aber insofern genau passend zu der rechtspopulistischen Attacke, die wir dieser Tage aus der 167.000-Einwohner-Stadt Osnabrück hören mussten. Da hat der CDU-Fraktionschef genau diese gegen die Ausstellung „Kinder, hört mal alle her“ in der örtlichen Kunsthalle geritten (so heißt allerdings das Jahresprogramm, der Ausstellungstitel lautet „Then i’ll huff and i’ll puff and I’ll blow your house in“). Das Motiv Kannibalismus kommt in der Ausstellung unter anderem vor. Es gab nach dem Angriff aus der Politik eine anonyme Morddrohung gegen die Künstlerin Sophia Süßmilch. Und eine Parteifreundin des Kritikers, die CDU-Landtagsabgeordnete in Niedersachsen ist, setzte noch obendrauf: „Es ist unverständlich, wie ein solche Ausstellung überhaupt genehmigt werden konnte“. Was Künstler*innen machen, muss also genehmigt werden? Wie doof darf Politik sein, wer hat das wiederum genehmigt?
Doch Spott genug aus der ganzen Republik haben die Osnabrücker CDUler einstecken müssen, und viel sachliche Kritik, aus der sie lernen könnten. Das Pamphlet „CDU Osnabrück distanziert sich von Kunsthallen-Ausstellung“ steht allerdings immer noch auf der Website der Ratsfraktion. Alles das kann man im Netz nachvollziehen, muss also hier nicht referiert werden. Doch weitere Schlüsse lassen sich aus dem Provinz-Kunstskandal ziehen – wobei, wie fast immer in solchen Fällen, nicht die Kunst skandalös ist, sondern die reaktionären Reaktionen.
Der Fraktionschef, der nun auch den Prado sicher nicht mehr besuchen möchte, ist studierter Jurist. Er müsste also das Grundgesetz einschließlich der darin garantierten Kunstfreiheit kennen. Er ist schon in seiner Rats-Funktion an die Gesetze gebunden, ein Verfassungsjurist beurteilte sein Verhalten deshalb als „rechtswidrig“. Die Landtagsabgeordnete kommt zwar aus der Landwirtschaft, könnte aber angesichts ihrer politischen Rolle die Verfassung auch mal gelesen haben. Kann da wirklich so viel Unkenntnis herrschen? Oder ist das eine kalkulierte Aktion gegen die Kunst und ihre Freiheit? Was haben wir davon zu halten, wenn so genannte christlich Konservative rechtspopulistische Sprüche klopfen? Aber da haben sie ja Vorbilder in ihrer Bundespartei. Die viel diskutierte Brandmauer gegen die extrem Rechten bekommt so jedenfalls kein Fundament. Sie nützt nichts, wenn es auf beiden Seiten brennt.
Das Rubens-Bild finde ich übrigens schwer erträglich in seiner Brutalität. Schrecklicher aber ist das Bild „Populismus frisst Kunstfreiheit“. Wahrscheinlich war das nicht die letzte Attacke dieser Art.