Sollen Künstler Beamte werden?

Ein Kalenderjahr ist vergangen, in dem die öffentliche Debatte über die Künste in vieler Hinsicht irritierend war. 2023 ging es immer wieder um politische Korrektheit, um die Abgrenzung von Identitäten und andere kulturelle Kämpfe. Das führte zu zahlreichen Rücktritten – von Kuratoren, Findungskommissaren und sonstigen Betriebsfunktionären, auch zur Absage von öffentlichen Auftritten wie Preisverleihungen. Überwiegend lautete der Vorwurf Antisemitismus – davon kommt vor allem das Label „documenta“ nicht los -, und bis heute wird gerungen um eine erkennbare und damit handhabbare Trennlinie zwischen Israelkritik und Judenfeindlichkeit.

Die, um deren Arbeit es eigentlich geht (gehen sollte), die Künstler*innen, werden in diesen Debatten der Funktionäre fast immer lediglich als stumme Adressaten von Forderungen berücksichtigt. „Trennt E-Kunst nicht von U-Kunst“, tönt Kulturstaatsministerin Claudia Roth aktuell, sie hat ein neues Fass für 2024 aufgemacht. Ihr Rücktritt blieb im vorigen Jahr aus, obwohl ihn die „Jüdische Allgemeine“ im Zusammenhang mit dem „documenta-Skandal“ gefordert hatte. Zurückgetreten wurde aber der Leiter der Berliner Berlinale, woraufhin 200 Kulturschaffende aus aller Welt über Claudia Roth herzogen. Der Zirkus geht weiter. Jetzt sollen, wiederum in Berlin, Fördergelder für Kulturschaffende nur dann noch bewilligt werden, wenn sie eine „Antidiskriminierungs-Klausel“ unterschreiben. Über den Textinhalt wird heftig gestritten. Es geht hauptsächlich wieder um Antisemitismus. 4000 „Kulturproduzent*innen“ haben mittlerweile einen offenen Brief gegen diese behördliche Gängelung unterschrieben, weil sie ihre im Grundgesetz verbriefte Meinungsfreiheit gefährdet sehen und der Senat vorher mit ihnen nicht einmal gesprochen habe.

Wer sich auf das Grundgesetz beruft, fühlt sich diesem Text und seinen Werten offenbar verpflichtet. Das beinhaltet die Beachtung der Menschenrechte. Was soll man da noch zusätzlich unterschreiben? So etwas müssen bisher Beamte bei ihrer Einstellung. Wir könnten doch alle Künstler verbeamten, wie das hässliche Wort heißt, dann käme die staatliche Förderung endlich auch bei allen an.

Womit auch ein grundsätzliches Diskriminierungsproblem gelöst wäre: das der sozialen Benachteiligung. Denn Künstler (vor allem aber Rezipienten und gar Käufer) werden in unserer Gesellschaft ganz selten die Unterprivilegierten, weniger formal Gebildeten. Nicht nur Antisemitismus grenzt aus. Autonomie der Kunst – die Chance zum freien Spiel – ist ein historischer Anspruch, der bisher nur für manche verwirklicht wurde. Nicht für jeden in Deutschland, erst längst nicht in der Welt. Trotzdem bleibt Autonomie eine gute Idee. Dabei ist klar, dass dieser Spielraum der Freiheit immer bedingt, gefährdet und umkämpft sein wird. Es geht um die Möglichkeit, wenigstens an diesem Kampf teilnehmen zu können.

Ohne Solidarität mit den weniger Privilegierten ist Kunstfreiheit logisch nicht zu denken. „Autonomie und Solidarität“ ist für mich deshalb der bessere Slogan für 2024 als irgendeiner aus der Cancel-Culture. In Feuilleton-Beiträgen wird Autonomie zurzeit gerne für überholt erklärt. Das halte ich für nicht durchdacht. Es ist – wiederum – gegen die Interessen der Künstler*innen. Es gibt aber auch andere Stimmen, die aus unterschiedlichen Perspektiven künstlerischer Praxis den Freiheitsanspruch aktualisieren, aus verschiedenen Generationen. So ganz dezidiert der Komponist Wolfgang Rihm (Jahrgang 1952), der kürzlich in einem Interview idealistisch die „grenzenlose Freiheit“ der Kunst hochhielt: „Angesichts von immer mehr heterogenen Ansprüchen muss das betont werden“. So auch die Kritikerin Larissa Kikol (*1986), die im Hinblick auf Graffiti und Street Art meint, die Kunst werde schutzlos den Interessen des Marktes ausgeliefert, wenn sie nicht autonom bleibe. Und als drittes Beispiel der Künstler und Theoretiker Steffen Zillig (*1981), der gerade mit seiner „Ästhetik des Asozialen“ ein grundlegendes, sehr empfehlenswertes Buch zum Zusammenhang von Autonomie und Solidarität veröffentlicht hat. Ihm geht es darum, „die Kunst als einen jener Spielräume bürgerlicher Freiheit zu verteidigen, der (…) zumindest eine Idee davon lässt, worum (…) in viel stärkerem Maß gerungen werden muss“.

Positionen, die künstlerische Arbeit in den großen Zusammenhang stellen. Wie betrifft das die schöpferische Arbeit im stillen Atelier, am Schreibtisch? Wenn wir zu der Freiheit, die wir uns da nehmen, den universellen Anspruch auf diese relative Autonomie hinzudenken, wird seine mangelhafte Verwirklichung zumindest bewusst. Ändern können Künstler*innen das alleine nicht, aber gegen die Bevormundung durch Institutionen und Politiker, gegen die „Verbeamtung“ wehren sie sich zu Recht.

Update: Am 23. Januar 2024 wird gemeldet, der Berliner Kultursenator habe die umstrittene Klausel zurückgezogen, wegen rechtlicher Bedenken und weil er nun mit den Kulturschaffenden sprechen wolle.

Ein Spielraum der Freiheit