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Das Rätsel künstlerischen Denkens

Metapher als Konzept

Kapitel 4

Die Metapher, wörtlich übersetzt eine Übertragung, ist bekannt als rhetorisches Stilmittel, das dazu dient, etwas in bildhafter Weise zu veranschaulichen. Das Sprachbild ist allgegenwärtig im Alltag: Immer wieder mal bekommt jemand einen Korb oder es wird eine Kuh vom Eis geholt. Als metaphorisch werden darüberhinaus auch Grundlagen menschlichen Denkens beschrieben. „Der Grund, weshalb wir uns so intensiv auf die Metapher konzentrieren, besteht darin, daß sie Vernunft und Imagination in sich vereint“, schreiben George Lakoff und Mark Johnson in ihrem Buch „Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern.“ „Zu den vielen Facetten der Imagination gehört die, daß wir eine Art von Phänomen von einer anderen Art von Phänomen her wahrnehmen – diese Weise der Weltbetrachtung bezeichnen wir als metaphorisches Denken. Also stellt die Metapher eine auf der Imagination beruhende Rationalität dar.“ Mehr noch: Der normale Rationalitätsbegriff als solcher, so die Autoren, beruhe „im Kern auf der Imagination“ (S. 220 f.).

Als Konzepte zur Welterfassung sind Metaphern demnach weit mehr als ein sprachliches Stilmittel: Sie sind „das zentrale Sinnesorgan für unsere soziale und kognitive Welt“ (S. 8). Metaphorische Konzepte durchdringen Sprache, Denken und Handeln und sind dabei so allgegenwärtig und selbstverständlich, dass sie meist nicht als sinnbildlich ins Bewusstsein treten, sondern für natürliche Realität gehalten werden. Sie gründen in physischen und kulturellen Erfahrungen und wirken auf Erfahrungen und Handlungen zurück (S. 85). „Viele Metaphern werden noch vor dem Spracherwerb von uns erlernt, andere später über Sprache“, so die Kognitionslinguistin Elisabeth Wehling: „Unsere Gehirne spannen vom Säuglingsalter an ein riesiges Netzwerk von metaphorischen Mappings auf, die als kognitive ‚Kuppler‘ zwischen konkreter Welterfahrung und abstrakten Ideen fungieren“ („Politisches Framing“, S. 71 f.). Das wirft ein Licht auf die Genese des unbewussten, gleichwohl sprachbildhaft strukturierten Bereichs des frühen Lernens. Und auch im späteren Leben sind die Strukturen und Inhalte der Wahrnehmungs-Metaphern Teil des impliziten Wissens, einer unbewussten Rhetorik.

Lakoff und Johnson schildern die konventionalisierten metaphorischen Konzepte unserer westlichen Kultur detailliert; das zu referieren würde hier den Rahmen sprengen. Solche Konzepte durchdringen natürlich auch mein Thema, das hier verwendete Textmaterial und meine Darstellung dazu. Beispiel: das Schöpferische. Man schöpft aus einem Gefäß. Das Reservoir des Künstlers wird imaginiert als ein dreidimensionales Gefäß, als ein umgrenzter Raum. Nun stellt der Schöpfer etwas her – das ist wieder ein Teil des räumlichen metaphorischen Konzepts, zudem Teil des Konzepts Kausalität. Innerhalb eines Bildkonzepts können weitere Metaphern das Bild ergänzen, die Struktur verfeinern. „Ich habe eine Figur aus Ton gemacht“ gehört ebenfalls zum Konzept „Herstellen“, das wiederum ein Moment des Konzepts „Direkte Manipulation“ ist, hier ausgeschmückt durch die Metapher „Das Objekt entsteht aus der Substanz“, der wiederum die Metapher „Die Substanz ist ein Gefäß“ zugrunde liegt (S. 89). Und so fort. Metaphernstrukturen entfalten verschiedene Aspekte einer Sache und verbinden diese stimmig.

Das mag einen Eindruck davon geben, wie wörtlich wiederum der Titel „Leben in Metaphern“ zu verstehen ist. Es ist nicht so, dass wir die Wahl hätten, aus diesem Leben auszusteigen, indem wir bildhafte Konstruktionen durchschauen oder übertragene Sinne einer Kritik unterziehen. Das ist zwar wichtig, weil kulturelle Prägungen uns ja den Blick auch verstellen können – es würde sich lohnen, die metaphorischen Strukturen in wirtschaftspolitischen, in Gender- oder in Kolonialismus-Debatten zu untersuchen –, aber wir werden all dies wiederum auf der Grundlage (veränderter) metaphorischer Konzepte tun, weil wir so strukturiert sind. Siehe oben: „Der normale Realitätsbegriff als solcher …“.

„Festhalten“ (eine Metapher) möchte ich: Imagination ist grundlegend für unsere natürliche Weltwahrnehmung und die Strukturierung unserer Erfahrungen. Wichtig für unser Thema ist der Hinweis von Lakoff und Johnson, dass der gestaltende Umgang mit den natürlichen Dimensionen der Erfahrung diese neu strukturieren kann. Künstlerisches Denken nutzt die Imaginationskraft und schafft neue metaphorische Konzepte: „Kunstwerke bringen neue erfahrene Gestalten hervor und deshalb auch neue Kohärenzen“, das heißt eben solche Metaphernstrukturen, die stimmig verschiedene Aspekte verbinden. Ein Kunstwerk ist „eine Sache der auf der Imagination beruhenden Rationalität und ein Medium, das neue Realitäten zu schaffen vermag“ (S. 269).

In der Philosophie ist es die Hermeneutik, die das menschliche Denken für reicher an Möglichkeiten hält, als Sprache sie ausdrücken kann. Das muss der anderen Position, dass Sprache das Denken forme, gar nicht widersprechen. Die Metapherntheorie zeigt, dass Inspiration und Imagination einen Denkraum eröffnen, der weiter reicht als der Sprachraum, der wiederum nicht völlig vom Denken erfasst oder gesteuert wird. Im Überschneidungsbereich beider „Räume“ kann die Sprache das Denken formen wie umgekehrt das Denken die Sprache.

Die Konzeptstrukturen der Metapher sind keine rein sprachliche Angelegenheit, sie betreffen „alle natürlichen Dimensionen unserer Erfahrung“, auch ästhetische: „Farben, Form, Beschaffenheit, Klang usw.“ (S. 269). Thomas Fuchs schildert in seinem Buch „Das Gehirn – ein Beziehungsorgan“, wie diese Erfahrungen ins „Leibgedächtnis“ einfließen und dort als „Wahrnehmungs- und Verhaltensbereitschaften“ enthalten sind. Wie für alle Leibphänomenologen gibt es für Fuchs keine Trennung von Körper und Geist, vielmehr stehen kognitive Funktionen „unter dem fortwährenden Einfluss größtenteils unbewußter emotionaler Vorerfahrungen und Erwartungen“ (S. 129, 138). Empfinden und Denken sind nicht zu trennen, darin stimmt Fuchs mit Polanyi überein.

„Ich suche nur immerfort etwas Nicht-Mitteilbares mitzuteilen, etwas Unerklärbares zu erklären, von etwas zu erzählen, was ich in den Knochen habe und was nur in diesen Knochen erlebt werden kann“, schrieb Franz Kafka 1920 an Milena Jesenská („Briefe an Milena“, S. 296). Sensible Selbstbeobachtung und künstlerisches Denken, das die Ergebnisse späterer Forschungen, das „Leibgedächtnis“ anscheinend vorwegnimmt.

Was Kafka als sein Problem schildert, ist in der Perspektive heutiger Kulturwissenschaft ein grundsätzliches Faktum: „Zwischen mentalen Prozessen und ihrer Artikulation“ besteht „kein Abbildverhältnis“, schreibt Albrecht Koschorke 2012 in seiner Erzähltheorie „Wahrheit und Erfindung“, auch unter Berufung auf Polanyi: „Vorstellungsmenge und Wortmenge decken sich nicht, sondern bilden unübersetzbare Überschüsse auf der einen wie auf der anderen Seite“ (S. 27 f.). Zwischen diesen Seiten bleibt der genannte Überschneidungsbereich, in dem die Sprache das Denken trifft.

Mittels Sprache dem Überschusspotenzial des Leibgedächtnisses etwas abringen zu wollen ist die eine Motivation, die umgekehrte möchte sich gerade von dem befreien, was in den Knochen steckt: „Es ist sehr schwer, alles, was an dem Bild hängt (>vernunftbefleckte< oder gedächtnisbefleckte Imagination), wegzureißen, um an den Punkt >Ausgeträumt träumen< zu gelangen. Es ist sehr schwer, ein reines, unbeflecktes Bild zu schaffen, das nichts anderes ist als Bild, dahin zu gelangen, wo es in seiner ganzen Einzigartigkeit auftaucht, ohne mit irgend etwas Persönlichem oder Rationalem behaftet zu sein, und zum Undefinierten vorzudringen.“ „Sprache III“ nennt Gilles Deleuze die Sphäre der reinen Bilder in seinem Text „Erschöpft“ (in: Samuel Beckett: „Quadrat“, S. 65), die jeglichem Framing, allen Dispositionen entgehen soll. Er zielt auf ein „kleines alogisches Bild, gedächtnislos, beinahe sprachlos, bald im Leeren schwebend, bald zitternd im Offenen“ (S. 67). Beinahe lyrisch formuliert Deleuze seine radikale Forderung, das Bild von allen konventionellen Mustern und Konzepten zu befreien. Er geht noch einen Schritt weiter als die Dekonstruktion, ins nicht mehr Definierte. Hier scheint das Äußerste der Möglichkeit jeglichen künstlerischen Denkens erreicht.

Kapitel dieses Essays:

  1. Baumeister, Beuys und Bourdieu
  2. Alleinstellungsansprüche
  3. Die Einheit von Wahrnehmen und Denken
  4. Metapher als Konzept
  5. Intuition als Methode bei Joseph Beuys
  6. Praxis im künstlerischen Feld
  7. Institution der Freiheit
  8. Resümee: Methodische Imagination